Oder: Mein Strahlen war dein Widerschein. Danke an Kristina Hänel
(und viele weitere Menschen)

Hier folgt ein Auf‑ und Abgesang zu Fragen des körperlichen Selbstbestimmungsrechts. Teile davon sind zum Singen gedacht, den Vagusnerv runterchillen, es wird ja scheinbar wirklich wieder
ganz aufregend punkto serieller Infragestellung des kör­perlichen Selbstbestimmungsrechts von gebärfähigen Menschen.
 
Die allerersten Anzeichen vom Ende sind, wenn…

…du diesen Text liest, weil 300 km östlich oder nördlich oder auch 3000 km südlich angezweifelt wird, dass Menschen mündig über ihre eigenen Körper entscheiden können.

…Fundis spazieren gehen dürfen, menschenverachtend, imprägniert mit einer selbstgerechten Ethik, flankiert von Polenta.

…ich diesen Text verfassen muss, ich würde wirklich viel lieber einfach mit meinem Uterus hängen, in Liebe und Selbstbestimmung, in alternder Gleichgültigkeit oder mit Piña-Colada-Hütchen im Haar, ganz egal, es ist immer viel los mit einem Uterus, Schleimhaut hat zu tun, etc.

Ich würde einfach viel, viel lieber nicht über Manns- und Menschbilder nachdenken, die zu oft über Organe anderer Menschen Feindbilder konstruieren möchten; Kontrolle, Macht, sie beide aufgehängt an fadenscheinigen längst jeglich vorstellbar erträgliche Laufzeit überschrittenen Ideologien, die man schon vor einigen Tausend Jahren an den Haaren herbeigezogen hatte, oh, an wessen Haaren? An denen einer Frau, erwachsen in einem Uterus, genährt von einer Nabelschnur, 35.7 Grad Nähr- und Wuchstemperatur, göttinnengleiches Spa der Zellteilung, ich bin so stolz und immer wieder verblüfft, was der menschliche Körper kann.

Vor allem bin ich aber keineswegs verblüfft, wenn menschliche Innovation, der Wille, etwas in die Welt zu rufen qua Erkenntnis und Idee, wenn dieser Innovationswille sich «paart» mit Möglichkeiten, die ein fundamentalstes Grundrecht ermöglichen: Die Selbstbestimmung über den eignen Körper.

Gott will eure Kinder nicht

Weitere Anzeichen vom nahen Ende sind zum Beispiel:

Wenn Rechte in Frage gestellt werden und infolgedessen «angepasst» werden.
Abtreibungen kriminalisiert – und eigentlich bereits ihre blossen Zugänglichkeit in Abrede gestellt werden.
Du dir überlegen musst, wie viele Frauen* beim Akt der Verantwortungsnahme bereits gestorben sind: Ein Leben nicht in Umstände zu gebären, die gut genug sind.
Wenn Du dir überlegen musst, dass viele Menschen mindestens aufgrund dessen gefährdet wurden, dass der gewünschte Eingriff medizinisch fahrlässig – klandestin im Hinterzimmer – gemacht werden musste.
Sich die Zahl der eben jener Personen stündlich erhöht und das Privileg, unter sicheren Bedingungen abtreiben zu können, ein rares Gut ist – auch noch in 2022.

Jetzt geht es los, ein Lidl zu der menschenverachtenden, ja Menschenleben gefährdenden Idee, dass das von diffusen Instanzen zugesprochene Selbstbestimmungsrecht widerruft werden kann:

Das verlorene Lachen v. Gottfried Keller

Wenn das Leben heilig ist, dann möchte ich davon nichts, heilig sind Kühe oder manche Orte, meistens haben dort die Kelten schon rumgefurzt oder sonstige Wesenheiten von denen wir wenig wissen, ausser dass sie Steine mochten und besonders gerne schwere. Zudem gibt es Menschen, die von sich behaupten, sie wären heilig. Vielfach gibt es verlorene Seelen, die man später heilig spricht, zum Beispiel Jeanne d’Arc, aber dies auch nur, weil man sie einst ganz kaputt gemacht hat unter johlenden Mengen und vielen glücklichen Augen, von Rache angespitzt, aufgegeilt im Empfinden von Allmacht, Macht der Zerstörung. Zuerst hatte sie starke Kopfschmerzen und gute Drähte zu anderen Sendern, die manche nicht wahrnehmen und sie hörte viel, den ganzen lieben langen Tag war sie auf Empfang. Und eine Mission ward ihr gegeben und der ging sie nach, unbeirrbar und in einer sehr schnieken Kostümierung. Sie verzichtete auf Reproduktion, sie rettete schliesslich schon eine ganze Nation und das ist wirklich familientechnisch schwer zu vereinbaren.
Wenn das Leben heilig ist, dann möchte ich davon nichts haben oder sein, wenn es heilig ist, weil jemand es genommen hat und gesagt hat, ab hier ist es heilig, ab da nicht, so, wenn es so und so entstanden ist, ist es übrigens heilig und heilig bedeutet unantastbar und unantastbar ist wenig, aber vor allem das Heilige ist sehr unantastbar, weil unberührbar für deine Hände. Manchmal hat man auch gerne gesagt, dass jetzt eben das Geschlecht heilig sei, aber möchte ich ein heiliges Geschlecht? Mir gefällt das Profane gut, es macht weniger Schmerzen und die meisten hinterlässt es weniger korrumpierbar.

LIDL

Ich hatte einen Mann, den viele möchten
der immer mich bewahrte vor allem Schlechten
Ein schöner Mann mit Antlitz wach und gross

Ich hatte einen Mann, den viele möchten
Ein Fahnenträger bei den Seldwylern
Der sang im Chor und sie gefielen
Ein fröhlicher und lieber und agiler
Ein charmanter, kein verkannter, ein galanter

Man kennt seinen Namen
der Jukundus Meyenthal
Niemals schal, gar kein Aal
Der Jukundus wusste, wohin mit sich
Das machte mich ganz füchterlich
Wenn einer immer besser weiss wie man so dribbelt
Da werde ich davon schon ganz benibbelt

Da, voll leuchtender Geschlechtsorgane und Augen
Fing das Schicksal an, uns zusammenzusaugen
Sah ihn auf dem Fest – mal von links,
mal von rechts, mal ganz den Rest
Sah ihn an und in ihn hinein, mein Strahlen war
sein Widerschein

Wie trifft man einen mit so reinem Herzen
Mag manche sich heute Abend fragen
Mir beliebt es gar nicht mehr zu scherzen
Denn verloren hab ich ihn – oh, grosse Schmerzen
Ich erzähl euch die Geschichte, bevor ich ganz zunichte:
Sah ihn schon von Weitem mit Manie
Mit Augen leuchtend lieb wie nie
Er sang mit seinem ganzen Leibe Liebe
Er sang im Chor und meine Seele stiebte
Zum Himmel hoch empor
Wie das Lied zu Ende war, war mein Blick in seinen
Augen schon erstickt
Nichts half mehr vor, noch zurück
Mir war alles schon entrückt

Da, voll leuchtender Geschlechtsorgane und Augen
Fing das Schicksal an, uns zusammenzusaugen
Sah ihn auf dem Fest – mal von links, mal von rechts
Mal ganz den Rest
Sah ihn an und in ihn hinein, mein Strahlen
war sein Widerschein

Fragte ihn ganz fein: Kommst mit mir hinein
So sassen wir bis zu End war
Bei meinen Eltern hochwohlgeboren
Seine: Tiefunwohlgeboren! Und nur noch die Mutter
Ich sagte ungeschickt: Dafür haben wir immer Butter
Schauten auf den See, Jukundus, du weisst, dass ich dich seh

Was tat mein Jukundus sodann?
Sprang nachhause, vor lauter Flause
Sprang er weg von mir, es war ihm scheinbar zu wenig Pause
Mein Jukundus zeigte auf den Seeanschluss und
gab mir einen allerersten Kuss
Ich zur Antwort eine Kopfnuss
denn die Mutter neugierig, den Seldwylern bös gesinnt
Streckte den Kopf durchs Heckchen,
in den Fingern ein Stöckchen

Unser Strahlen war kein Mahnen
Unser Strahlen war ein Funklicht
über den Zürichsee
bis einmal um die Erde

Da ging der Jukundus lachend aus dem Lichtkegel

Seine Sehnsucht blieb ihm im Gesicht, das entging seiner
Mutter nicht, die dachte: OHA, die Justine Glor,
das wär ein Tor!

Feine Nylonstrümpfe, gesundes Haar, kein Makel –
ganz ohne Tentakel

So durch der armen Mutter Kraft entsteht die Ehe der beiden
Auf Weiden und mit starken Eiden
Strahlend
Schönstes Paar
LACHENDE AUGEN
ZWEI BLAUE UND ZWEI BRAUNE

Da, voll leuchtender Geschlechtsorgane und Augen
Fing das Schicksal an, uns zusammenzusaugen
Sah sie an und in sie hinein, mein Strahlen war ihr Widerschein

Eine Braut leicht
Weiss wie Schnee
Riss die Blicke auf
Eine Braut sanft wie ein Reh

Bis der Pfarrer kommt, ein Reformpfaffe, er stürzt ihr Denken um
Macht sie zu seiner Assistentin, sie skandiert:
ABTREIBUNG ADE!
LEBEN IST HEILIG!
HOMOSEXUALITÄT IST HEILBAR!
Jukundus verzweifelt
ist ihm Leben auch heilig, aber Leben entheiligt sich,
wenn es über anderes Leben urteilt
da wird es schnell selbstgefällig, wenn Regeln die
Ordnung zähmen
der Pfaff, der nimmt, was er kann, sagt Jukundus
der Pfaff, der frevelt und labert und nebelt
die Köpfe zu

An diesem Nachmittag fing das Schicksal an,
uns auseinanderzureissen
Sah in sie hinein und kein Strahlen war ein Widerschein

Der Jukundus und die Justine
Zwei BLAUE AUGEN UND zwei BRAUNE streiten sich
PRO CHOICE JA
PRO LIFE NEIN
PRO CHOICE PRO LIFE PRO CHOICE PRO LIFE
Sie wählt: Du Drecksack, Du findest keinen Gott
Da muss unser Jukundus fort
Er geht – Schultern über Kopf, armer Tropf, ganz ohne Gott

Das Lachen ist gewichen
Das Lachen ist verblichen
Das Lachen ist weggestrichen

    Hatten doch ein warmes Nest
    Waren doch frei von Asbest
    Wie ist’s kaputt gegangen 
    Das Lachen wie ist’s kaputt gegangen die Liebe

Da, voll leuchtender Geschlechtsorgane und Augen
Fing das Schicksal an, uns wegzureissen
Sah sie an und in sie hinein, das Lachen war gewichen
weggestrichen
ganz verblichen

P.S. Oh lege, Geliebter, den Kopf in die Hände und höre, ich sing dir ein Lied, ich sing dir vom Leid und vom Tod und vom Ende,
ich sing Dir vom Glücke, das schied, Selma Meerbaum-Eisinger

P.P.S. UNFREIE UTERI ergeben UNFREIE SUBJEKTE ERGEBEN ERSCHWERUNGEN DEMOKRATISCHER PROZESSE, ich schwör.

1 Auf einer Matte geröstet nach 16 Uhr
2 UNANTASTBAR bleiben z.B. das Recht auf körperliche Unversehrtheit sowie folglich z.B. Körperteile an alle, die sie nicht teilen möchten akut sofort: Aggressive Grüsse gehen raus an Street-Parade-Profigrabschers

  • Und Menschen mit Uteri, Menschen im gebärfähigen Alter, Menschen aller Geschlechter, die theoretisch gebären können

Von Katja Brunner

Katja Brunner, geboren 1991 in der Schweiz. Ihre Theatertexte wurden mit Preisen versehen, auf fünf Kontinenten gespielt;
aktuell in der Volksrepublik China und RICHARD 3 am
Schauspiel Köln.

Katja Brunner ist Autorin und Dramatikerin und Mitglied des Autorinnenkollektivs Rauf.

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