Anfang Februar forderten die IGA SOS Racisme und Solidarité sans frontières an einer Medienkonferenz in Bern wieder einmal die Abschaffung des Not-hilferegimes als Instrument der Schweizer Asylpolitik. Unmittelbarer Anlass waren die unerträglichen Lebensbedingungen im Zentrum Oberbuchsichten im Kanton Solothurn. «Die elementarsten Menschenrechte werden missachtet!» mahnten die beiden Organisationen.
Im Kanton Zürich gibt es gegenwärtig fünf Notunterkünfte (NUKs). Auch hier leben Geflüchtete, deren Asylgesuch abgewiesen worden ist, zum Teil über Jahre in prekärsten Verhältnissen. Dagegen läuft seit Anfang 2017 eine Kampagne des Bündnisses «Wo Recht zu Unrecht wird», welche die Schliessung der Notunterkünfte im Kanton Zürich fordert. Wir, die antirassistische Gruppe keinegrenzeseebach, verstehen uns als Teil dieser Kampagne und haben in den vergangenen Monaten an einem Video* über die Notunterkünfte im Kanton Zürich gearbeitet. Dieses ist seit kurzem online zu sehen. Dafür haben wir uns die Lager, in denen die Betroffenen leben, selbst angesehen und uns über die Hintergründe informiert. Wir waren entsetzt und empört über die schäbige Infrastruktur, die isolierte Lage, die Trostlosigkeit und die schikanöse Behandlung.
Die Situation in den Notunterkünften
Das Video zeigt und kommentiert ausschnitthaft die rechtlichen und politischen Hintergründe sowie die konkrete Situation in den Unterkünften. Seit 2008 erhalten abgewiesene Asylsuchende und Personen mit einem sogenannten Nichteintretensentscheid (NEE) schweizweit keine Sozialhilfe mehr, sondern nur noch den weit tieferen Nothilfebetrag und die Möglichkeit, sich in sogenannten Notunterkünften (NUKs) aufzuhalten. Es folgten weitere, im Kanton Zürich besonders hart umgesetzte Verschärfungen.
So verbietet das Zürcher Migrationsamt seit Frühsommer 2016 mittels sogenannten Eingrenzungen zahlreichen abgewiesenen Asylsuchenden das Gemeindegebiet ihrer Nothilfeunterkunft zu verlassen – mit Ausnahme von zwingenden Reisen, für die aber vorgängig eine schriftliche Bewilligung eingeholt werden muss. Gemäss dem zuständigen SP-Regierungsrat Fehr sollen mit diesem Druckmittel auch nicht straffällige Nothilfebezüger zur Ausreise bewegt werden. Das Migrationsamt beschreibt diese Praxis als eine «milde Form von Ausschaffungshaft». Ab Februar 2017 wurde die Auszahlung von Nothilfegeldern im Kanton Zürich zudem an die Bedingung geknüpft, dass die Betroffenen sich ihre Anwesenheit jeden Tag morgens und abends schriftlich bestätigen lassen müssen. Dieses Regime ist inzwischen zu einem expliziten Übernachtungszwang verschärft worden. Wer sich nicht rechtzeitig in die Listen einträgt, erhält die magere tägliche Nothilfe von CHF 8.50 nicht ausbezahlt. Mit diesem Betrag muss der gesamte Lebensunterhalt – Essen, Kleider, ÖV-Tickets, Hygieneartikel und sonstiges – bestritten werden. Regelmässige Kontakte nach aussen, darunter auch solche mit Rechtsbeiständen, sind infolge der Eingrenzungen und dem fehlenden Geld für Fahrten erschwert. Besuche von aussen müssen bewilligt werden. Zusammen mit der abgelegenen Lage der Notunterkünfte bewirken diese Massnahmen eine weitgehende Isolierung der in den NUKs Lebenden.
Isolieren und Kriminalisieren
Da der Aufenthalt in der Schweiz rechtswidrig ist und mit bis zu einem Jahr Gefängnis bestraft werden kann, können die Geflüchteten jederzeit verhaftet werden. Auch in den Notunterkünften sind sie vor Razzien und Festnahmen durch die Polizei nicht geschützt. Bei vielen der in den offiziellen Statistiken als kriminell ausgewiesenen Asylsuchenden ist die illegale Anwesenheit in der Schweiz die einzige Straftat. Ein Beispiel für diese Kriminalisierungspolitik berichtete kürzlich die NZZ. Demnach verurteilte das Bezirksgericht Zürich im Januar 2018 einen Mann ohne Aufenthaltsbewilligung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 120 Tagen wegen Missachtung einer Eingrenzung. Er war trotz der Eingrenzung auf eine Gemeinde mit dem Zug nach Zürich gefahren – um das Büro des Migrationsamtes aufzusuchen, ohne dort einen Termin zu haben. Die Isolation, die Zustände in den NUKs, die konstante Unsicherheit und das Fehlen einer Perspektive haben dramatische Auswirkungen auf die physische und psychische Gesundheit. Viele Geflüchtete sind krank und leiden unter Depressionen. Die Situation in den NUKs verschlimmert aufgrund der schwierigen Fluchtgeschichte bereits bestehende Traumatisierungen, ohne die Möglichkeit einer spezifischen Behandlung.
Politik, Grauzonen und einträgliche Geschäfte
Das erklärte Ziel des Asylregimes des Kantons Zürich und des zuständigen Regierungsrats Mario Fehr ist, die in den NUKs lebenden Menschen über eine aktive Politik der physischen und psychischen Verelendung zur «freiwilligen» Ausreise zu bewegen. Die hoheitsrechtliche Aufgabe, für Menschen in Not angemessen zu sorgen, hat der Kanton seit längerem an die private Firma ORS Service AG ausgelagert. Die vertraglichen Vereinbarungen für die Führung der Notunterkünfte sind jedoch – trotz aller politischer und juristischer Vorstösse – bis heute noch nicht einsehbar und entziehen sich somit jeglicher öffentlicher Kontrolle. Dies ermöglicht eine rechtliche Grauzone, in der vieles an Willkür möglich wird, aber letztlich niemand dafür verantwortlich ist. All das ist exemplarisch für das aktuelle Asylregime: Möglichst schwer zugängliche, faktisch geschlossene Lager, so dass eine Kontrolle von aussen erschwert wird und niemand das Elend drinnen wahrnehmen muss.
Die ORS Service AG wurde 1992 von Willy Koch, dem früheren Generaldirektor der Personalvermittlungsfirma Adia (heute ein Teil der Adecco), gegründet. Seither hat sie sich nicht zuletzt dank staatlicher Mithilfe von einer kleinen Schweizer Firma zu einem Player für die Bereitstellung und Führung von Unterkünften für Geflüchtete im gesamten deutschsprachigen Raum entwickelt. Hinter der ORS AG steht die britische Beteiligungsgesellschaft Equistone Partners Europe. In der Schweiz betreibt die ORS AG in vielen Kantonen Asylzentren sowie Notunterkünfte und ist zu einem wichtigen Konkurrenten von staatlichen, kirchlichen oder privaten Hilfswerken wie Caritas, HEKS oder der Asylorganisation Zürich (AOZ) geworden. Diese werden durch den Konkurrenzdruck gezwungen, ihre Leistungen gegenüber dem Kanton immer billiger anzubieten, was dann bei den Leistungen für die Betroffenen wieder eingespart werden muss. Im Gegensatz zu nicht gewinnorientierten Hilfswerken und NGOs arbeitet die ORS auf Gewinnbasis. Kurz gesagt: Auch wenn sich die ORS auf ihrer Webseite mit ihrem sozialen Engagement bis hin zur Sozialberatung und Integration von Asylsuchenden brüstet, werden faktisch Steuermittel eingesetzt, um auf dem Rücken von systematisch prekarisierten Menschen privaten Gewinn zu machen. Der Umsatz der ORS betrug 2015 rund 67 Millionen Euro, der Gewinn 2,5 Millionen Euro.
Solidarität versus Regime
Seit der Einführung des Nothilfe-Asylregimes gibt es immer wieder massive Kritik daran sowie Kampagnen dagegen und auch eine kollektive wie individuelle Solidarität mit den Betroffenen. Zu nennen sind da unter anderem die Sans Papier Anlaufstelle Zürich (SPAZ), die Autonome Schule Zürich (ASZ), die verschiedenen Asyl- und Flüchtlingsorganisationen und die Kirchen. Leute engagieren sich in Besuchsgruppen, organisieren Rechtsberatungen, Mittagstische, Deutschunterricht, Kinderbetreuung und vieles mehr – meist unbezahlt, aus politischer Überzeugung, oder weil sie dem ganzen Treiben nicht einfach zusehen wollen. Darüber hinaus gibt es die individuellen, politischen und familiären Netzwerke von Menschen mit Flucht- oder migrantischem Hintergrund, deren Beitrag meist unter den Tisch fällt und von dessen Gewicht ein grosser Teil der restlichen Gesellschaft hierzulande nichts mitbekommt.
In Bezug auf die Bedingungen in den NUKs geht es aber in erster Linie um ein staatliches Asyl- und Migrationsregime, welches in seinen Grundsätzen erschüttert werden sollte. Doch die politische Tendenz geht in der ganzen Schweiz und auch im Kanton Zürich noch immer in Richtung von weiteren Verschärfungen. Das Ziel ist eine angeblich immer genauere Triagierung der Geflüchteten (auf Grund welcher Einschätzungen oder politischer Mehrheiten?) und deren effizientere Abschiebung. In den ab März startenden neuen Bundesasylzentren findet der ganze Ablauf des Verfahrens beschleunigt und «embedded» statt: Die Verfahren sollen schneller abgewickelt werden; Befragungen, Unterkunft, Betreuung, rechtliche und medizinische Unterstützung im gleichen Gebäude stattfinden. Die Notunterkünfte werden neu in «Rückführungszentren» umbenannt. Kontrolle von aussen wird schwierig werden, Isolation wird zum Prinzip dieses Asylregimes. Umso mehr ist Widerstand dagegen notwendig.
Video:
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Kampagne: wo-unrecht-zu-recht-wird.ch
Petition: unterkuenfte-ohne-not.ch