Viele Menschen träumen davon, in der Schweiz zu leben – in diesem wohlhabenden, sauberen, ordentlichen Land mit wenig Kriminalität. Ein Land, in dem man keine Angst hat, sich nachts auf der Strasse zu bewegen, was nicht überall auf der Welt der Fall ist. Ein stabiles Land mit einer starken Wirtschaft, wo jeder ein vernünftiges Gehalt bekommt. Es gibt genug zu essen für jeden, und das ist für die Schweizer ein wichtiger Bestandteil ihrer Lebensqualität. 

Ich würde der Schweiz gerne fünf Sterne geben, aber leider mangelt es ihr doch an etwas: an Menschlichkeit, Empathie, Toleranz, Respekt und Fairness gegenüber ihrer Schwarzen Bevölkerung. Um hier zu überleben, muss eine Schwarze Frau stark sein und eine dicke Haut haben, sonst wird sie unter dem Druck zerbrechen, in einem System funktionieren zu müssen, das nichts mit ihr zu tun haben will. 

Das Leben einer Schwarzen Frau in der Schweiz hat nicht viel mit dem privilegierten Leben der restlichen Schweizer Bevölkerung gemein; eine gute Ausbildung ist unerreichbar, ein guter Job ebenso. Unser Leben ist von Angst geprägt, aber auch von Hoffnung, von einem stetigen «vielleicht», von Gefühlen der Unzulänglichkeit, Komplexen, Unsicherheiten und Isolation. Zu einem gewissen Grad stehen wir mit dem Rücken zur Wand. Man sieht uns als starke Frauen, die alles meistern können. 

Wir bringen unsere Kinder nicht nur allein auf die Welt, uns obliegt auch oft die Arbeit, sie zu ernähren, einzukleiden und für sie in diesem System stark zu sein, ihnen Rückhalt zu geben. Eine Schwarze Frau gibt nicht auf. In vielen Schwarzen Haushalten sind die Frauen die Versorger. Schwarze Frauen werden seit Jahrhunderten missverstanden und unterschätzt. Schon als Sklaven waren sie das Rückgrat der Plantagen, haben nicht nur gekocht, geputzt und wurden ausgepeitscht, sondern dienten ihren Herren auch noch als Sexsklaven, je jünger desto besser. Ihre Umwelt und ihr Leben hatte ihnen damals nichts Schönes zu bieten. An der Wertschätzung hat sich bis heute allerdings wenig geändert. 

Man nimmt an, wir wären so standfest wie Berge, die man jederzeit besteigen kann. Aber auch wir brauchen Aufmerksamkeit und ein offenes Ohr. Unsere Schwarze Haut lässt uns in der Schweiz aus der Masse herausstechen, wir sehen anders aus als all die anderen Frauen. Könnt ihr euch vorstellen, wie schwierig es für uns ist, in einer weissen Gesellschaft zu überleben? Allein sich in Zürich auf der Strasse zu bewegen, ist für viele Schwarze schon eine ziemliche Schinderei; jeder Besuch in einer Boutique, einem Edelrestaurant, einer Bank ist ein Spiessrutenlauf. Sein hart verdientes Geld ausgeben zu wollen, es sich mal gut gehen zu lassen – das ist es oft einfach nicht wert, sich den verurteilenden Blicken und Kommentaren aus-
zusetzen. Die Aggression und Ablehnung
der Schweizer hinterlässt tiefe Spuren in unserem Alltag 

Als Schwarze Frau kenne ich dieses Gefühl der Ablehnung gut. Wie es sich anfühlt, wenn nichts, was man tut, gut genug ist für das System. Solange ich mich weigere, mein Schwarz-Sein, mein Schwarzes Denken und Handeln abzulegen, komme in der Schweiz nicht voran. Gleichwohl weiss ich jedoch, dass mein Schwarz-Sein mein einziges Werkzeug und die Quelle meiner Kraft ist: den Schmerz meiner Vorfahren zu tragen, ihre Tränen, ihre Hoffnungen, die uns über viele hundert Jahre begleitet haben. Ich höre ihre Klagen und
die Klagen meiner Generation und die Klagen der Schwarzen Jugend von heute. Der Schmerz meiner Vorfahren sitzt mir ebenso wie mein eigener tief in der Brust und treibt mich dazu an, immer weiter für Veränderung zu kämpfen. 

Vielleicht ist der Gedanke an Veränderung für Weisse nicht gerade ein behaglicher. Der Gedanke daran, auf ein paar der eigenen Privilegien verzichten zu müssen, scheint tabu. Es scheint ihnen schwer zu fallen, ihre Verfassung, ihr geordnetes System, das ihnen bisher gut gedient hat, aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten. Aber die Schwarzen haben es satt, immer dem Egoismus und Rassismus der Weissen ausgeliefert zu sein. 

So bin auch ich eine der Schwarzen Frauen, die sagen: Es reicht! Wir tanzen nicht länger nach eurer Pfeife, wir  setzen uns für Fairness ein, für die Wahlfreiheit, die Freiheit, gehört zu werden, die Freiheit, für unser Recht zu kämpfen, in Frieden in der Schweiz leben zu dürfen, und nicht zuletzt die Freiheit, als Schwarze Person leben zu dürfen. Das heisst, Menschlichkeit, Mitgefühl, Empathie und Achtsamkeit in den Vordergrund zu stellen, statt uns Schwarze Frauen mit dem Rücken zur Wand. 

Von Paula Charles

www.paula-charles.ch

Die Autorin Paula Charles ist 1956 in London geboren und auf der karibischen Insel St. Lucia sowie in London aufgewachsen. Als Aktivistin für Respekt, Toleranz und Kommunikation in der interkulturellen Diskussion engagiert sie sich seit gut zwei Jahren auch in der Roten Fabrik im Rahmen der Gruppe Auf.Brechen, die es sich zum Ziel gemacht hat, diskriminierende (Gesellschafts- und Veranstaltungs-)Strukturen, Praxen und Normen zu verändern. www.paula-charles.ch

Comment is free

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert