Der landesweite Generalstreik von 1918, der sogenannte «Landesstreik» jährt sich in diesem Jahr zum hundertsten Mal. Das Ereignis stellt in der Geschichte der Schweiz eine bedeutende Zäsur mit zahlreichen Folgen für die Arbeitsbedingungen, die Sozialpolitik und die politische Einbindung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern dar. Über die Beurteilung des Erfolgs des Landesstreiks wird bis heute und voraussichtlich besonders in diesem Jahr diskutiert und debattiert. Die Einordnung ist nicht leicht: Der Landesstreik sorgte zwar für Neuwahlen nach Proporz sowie die Einführung der 48-Stunden-Woche, war jedoch mit vielen Forderungen zumindest nicht unmittelbar erfolgreich. Nichtsdestotrotz hatte er für die gesamte Bevölkerung eine Signalwirkung, indem er aufzeigte, was passieren kann, wenn die Not der arbeitenden Bevölkerung zu lange ignoriert wird. Soziale Reformen wurden nach dem Streik beschleunigt, Anliegen der Arbeiterbewegung zunehmend in die politische Entscheidungsfindung mit einbezogen.
Der Streik mobilisierte aber auch die bürgerliche Rechte, die im Landesstreik einen bolschewistischen Umsturzversuch sah und in den folgenden Jahrzehnten mit Bürgerwehren einen Nachrichtendienst aufbaute. Vor diesem Hintergrund erstaunt es wenig, dass Christoph Blocher bereits zu Beginn des Jubiläumsjahres bei zwei Gelegenheiten versucht hat, Robert Grimm, den Anführer des Landesstreiks, als militanten Befürworter eines Bürgerkrieges einzuordnen. Wie der Historiker Adrian Zimmermann in einer Stellungnahme der Robert-
Grimm-Gesellschaft dazu jedoch darlegte, hatte Grimm eben diese Möglichkeit des Bürgerkrieges relativiert und damit dazu beigetragen, dass das Oltener Aktionskomitee am 14. November 1918 den Streikabbruch beschloss. Unter der vereinbarten Chiffre über einen bei Fortsetzung steigenden bzw. bei Abbruch sinkenden Käsepreis wurde der Entscheid durch einen Spitzel unmittelbar an den Nachrichtendienst der Armee weitergeleitet: «Käse wird billiger!» Vor dem Hintergrund der möglichen Konsequenzen muss der Landesstreik also auch als ein Beispiel pragmatischer Abwägung gesehen werden, die einen beschränkten Erfolg einer blutigen Auseinandersetzung zwischen der streikenden Bevölkerung und dem bewaffneten Militär vorzog. Doch wo stehen wir heute?