Wir haben es dann also doch noch geschafft: einen weiteren Sommer überstanden, einen Krieg verpasst, ein Köpfungsvideo nicht angeschaut. «Die psychische Integrität ist gewahrt», erklärt der Professor mit dem Silberblick und als ob das eine Antwort wäre, pfeifen die Enten «Ignorance is bliss» aus ihren Ententeichen dazu, während sie gierig nach dem Holzofenbrot, Sandalen und Vorurteilen schnappen. Du nickst vor dich hin, bevor du ihnen ein Ebola-infiziertes Taschentuch hinwirfst. «Da haben die kleinen Biester schon recht», denkst du dir. «Und wer studiert hat, ist selber schuld.»

Unwissenheit als Grundrecht in einer Informationsgesellschaft. So sieht’s aus. Ich habe das Recht, nicht zu wissen, wie Geri Müllers Penis aussieht. Ich habe das Recht zu glauben, dass alle Sozialhilfebezüger Schmarotzer und alle Asylbewerber Diebe, Mörder und Vergewaltiger sind. Ich habe das Recht, nicht zu wissen, wie der abgeschnittene Kopf eines Engländers, Islamisten oder Ivo Sasek aussieht. Ok, das nehme ich zurück: Wie schon die Nürnberger Prozesse bewiesen haben, kann die öffentlichen Hinrichtung eines Überzeugungstäters durchaus etwas Befreiendes haben. Die Welt wird eben doch besser, wenn wir sie nur lassen.

Und gerade in diesen Zeiten wissen wir doch wieder einmal, wie gut es uns eigentlich geht. Wir haben ja keine Probleme. Unsere Grenzen sind sicher, wir haben Pufferzonen auf allen Seiten. Die Türken stoppen jedes Mal vor Wien, die Russen vor Berlin und das Pigmentsprekariat an der Küste vor den Stränden, wo unsere Eltern noch den Sommer verbrachten, weil sie sich keine Flugreisen leisten konnten. Nicht vergessen: Jeder Flüchtling, den wir im Mittelmeer absaufen lassen, verringert unseren ökologischen Fussabdruck und kompensiert ein paar hundert Flugmeilen. Dasselbe gilt für jedes Negerbüebli, dessen Geburt wir rechtzeitig verhindern können. Es lebe die Nachhaltigkeit. Heil Hipsters. Hebt die Gläser auf unser gutes Besserwissen. Und Pop ist immerhin Pop, oder?

Verzeihung, das war gar nicht so zynisch gemeint, wie es klang. Denn die goldene Zukunft ist tatsächlich in Sicht: Die Heidiländer leeren ihre Sozialwohnungen und reissen die Häuser nieder, in der Hoffnung, irgendein pauschalbesteuerter Milliardär werde sich eines Tages in dieser Ödnis niederlassen wollen. Na dann kommt zu uns, ihr Pack, ihr Abschaum, ihr Alleinerziehenden, Albaner und A-Menschen aller Landgemeinden – wir warten in den Städten mit offenen Armen. Wir haben Brot, Spiele, Musik und Schulen. Wir haben Zeit.

Und wenn er dann gekommen ist, der Sturm, werden wir ausziehen und in den Ruinen, zwischen den Tälern und Skipisten, zwischen den Einfamilienhaussiedlungen und Zivilschutzbunkern nach den Überresten all der Inzesteidgenossen und Newsnetzkommentarpatrioten stochern. Wir werden ihre blutleeren Knochen ausgraben und wir werden sie unsern Kindern zeigen, auf dass sie niemals vergessen, dass nur frei ist, wer bereit ist, seine Freiheit zu teilen.

Etrit Hasler ist Slampoet, Journalist und SP-Kantonsrat. Für die Fabrikzeitung kommentiert er regelmässig das aktuelle politische Geschehen.

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