Am 3. Februar spielt Voodoo Jürgens mit seiner Band Ansa Panier in der Roten Fabrik. Im Interview mit der Fabrikzeitung sprach der Wiener Künstler über sein neues Album «Wie die Nocht noch jung wor», Skateboard fahren als Freiraum und darüber, wie man sich organisiert, während man versucht, sich zu verlieren.
Fabrikzeitung: Voodoo Jürgens, der österreichischen Kronenzeitung hast du unlängst erzählt, du gingest gern
spazieren. Hast du auf Tour denn auch Zeit, ziellos umherzuschweifen?
Voodoo Jürgens: Wenig, was ein ein bisschen schade ist. Man glaubt immer, dass sich auf Tour mehr Räume auftun. Meistens kommt man allerdings an und hat relativ bald Soundcheck. Der braucht immer seine Zeit. Am nächsten Tag gibt’s dann Frühstück und weiter geht’s in die nächste Stadt. Ein kleiner Spaziergang geht sich schon aus, aber das richtige Sich-Verlieren, wobei man sich verirren könnte, die Zeit gibt es nicht.
FZ: Deine Haltung, sich den kleinen Problemen zu widmen, erinnert an die dokumentarischen Alltagsgeschichten der österreichischen Fernsehjournalistin Elisabeth T. Spira. Hast du dich davon inspirieren lassen?
VJ: Ich kenne die meisten Folgen der Serie. Allerdings hat sie einen anderer Zugang, würde ich sagen. Spira hatte ihre eigene Motivation, gerade auch mit ihrem jüdischen Background. Sie bohrt oft in eine Richtung, wo die Leute hässlich werden, auch mit ihren Worten. Das ist nicht so meine Motivation, obwohl ich sehr gern mag wie sie das macht. Mein Punkt war immer eher der, eine Figur in erster Linie als recht neutral zu skizzieren und es dann den Hörer*innen zu überlassen, wie sie es einordnen.
FZ: Bei Spira lässt sich trotzdem eine grundsätzliche Liebe zu den Menschen finden.
VJ: Auf jeden Fall, das ist wahrscheinlich auch so eine Parallele zwischen uns beiden.
FZ: Die österreichische Schriftstellerin Elfriede Jelinek betrachtet die Menschen als Untote, als Zombies, die nur mehr umher geschubst werden. Wie blickst du auf diese Haltung?
VJ: Auch ich bin niemand, der alles nur schön malt. Aber ich habe auch nicht so einen Pessismus bei allem. Es gibt natürlich einen Haufen von Leuten, mit denen ich gar nicht kann oder die ich sogar verachte. Aber es gibt auch viele Leute, mit denen ich persönlich nichts zu tun habe, die ich aber trotzdem spannend finde. Der reine Hass ist kein Antrieb für mich.
FZ: Was bewegt die Menschen deiner Meinung nach?
Sorgen und Nöte?
VJ: Ich glaube, Menschen reagieren sehr unterschiedlich auf gewisse Situationen. Es gibt Leute, die sehr lange brauchen, um Dinge aufzuarbeiten, die alles sehr lang vor sich hinschieben. Andere räumen alles sofort aus dem Weg, was irgendwie unangenehm ist. Das ist schon ein wesentlicher Unterschied. Es gibt viele Varianten mit seinem Leben umzugehen. Die Sorgen haben ja nicht immer nur etwas mit einem selbst zu tun, sondern auch mit der Familie oder dem Freundeskreis zum Beispiel. Das beeinflusst einen alles. Alleine, wenn man das Thema Verlust durch Tod betrachtet: Da kannst du das Pech haben, dass innerhalb kürzester Zeit zwei Leute von deiner Familie sterben und ein Freund obendrauf; und ein anderer ist 45 Jahre alt und hat noch nie jemanden verloren. Das hat man nicht unter Kontrolle.
FZ: Auf deinem neuen Album «Wie die Nocht noch jung wor» gibt es den Titel «Beses End» in dem es heisst: «Du liegst daham im Bett / Von dort wüst gor nimma weg». Wen adressierst du mit diesen Zeilen? Geht es um einen Freund, oder sprichst du gar mit dir selbst?
VJ: Das vermischt sich da ein bisschen. Die Nummer ist stark mit der Coronazeit verhaftet. Dadurch, dass so wenig möglich war, hat eine gewisse Trägheit eingesetzt. In dem Lied geht es auch darum, Leute zu enttäuschen, irgendwem nicht gerecht zu werden. Ich schöpfe einerseits aus eigenen Erfahrungen und mische es dann mit anderen Geschichten. Ich finde es spannend, mehrere Wahrheiten miteinander zu verknüpfen.
FZ: Im Refrain des Titels heisst es «Waunnst ned boid wos mochst, nimmts a beses End». Wie machst du das, dass du jeden Tag aufstehst, rausgehst, deine To-Do-Liste abhakst?
VJ: Das gelingt mal besser und mal schlechter. Ich würd gar nicht sagen, dass ich da eine Formel hab. Es hängt immer vom eigenen Drive ab und davon, was an den Tagen davor gewesen ist. Manchmal muss man Dinge auch verwerfen. Vor allem im freischaffenden Bereich, wo ja nichts fix gesetzt ist, muss man für sich selbst entscheiden, was einem wichtig ist.
Es ist schon schwierig: Auf der einen Seite will ich den Freiraum haben, auf der anderen Seite weiss ich, dass ich besser funktionier, wenn gewisse Dinge einen geregelten Ablauf haben. In der Coronazeit war es noch einmal schwieriger, sich selbst seinen Rhythmus aufrechtzuerhalten, ohne die Gewissheit, wann man wieder ein Konzert spielen kann.
FZ: Bräuchten alle freien Kulturschaffenden eine*n
Manager *in, die ihren Alltag für sie strukturiert?
VJ: Ja. (Lacht). Das könnte helfen. Für mich ist es gerade sehr hilfreich, dass mir gewisse Dinge abgenommen werden. Musiker und selbstständig sein, bedeutet nicht nur künstlerisches Arbeiten, sondern auch vieles, das ich ewig vor mich hinschiebe, Büroarbeit zum Beispiel.
FZ: Das letzte Stück auf dem neuen Album ist eure erste Instrumentalnummer, «Odessa». Was ist die Geschichte
dahinter?
VJ: Der Hauptteil des Albums ist in Graz aufgenommen worden. Dann sass ich mit meinem Freund und Musiker David Schweighart im Studio in Wien und wir haben zu zweit noch ein paar Sachen aufgenommen. Der Tag an sich war schon recht deprimierend. Ich bin so geknickt reingekommen, hab gefragt: «Was machen wir heute?» und hatte Bock auf gar nichts.
Wir haben uns an ein Trauermarschlied gesetzt und gemerkt, ein Saxophon würde gut dazu passen. Also haben wir einen Freund angerufen, der live schon paar mal dabeigewesen ist, Andrej Prozorov, der eben aus Odessa ist. Da hatte der Ukrainekrieg gerade begonnen und Andrej hat uns sein Leid geschildert, uns erzählt, was da gerade mit seiner Familie passiert. Aber dann ist er gleich in den Aufnahmeraum rübergegangen und hat gespielt. Das, was er da spielte, hatte dieselbe Authentizität, wie die Geschichte, die er vorher erzählt hatte. Da haben wir gedacht, wir könnten es Odessa nennen und Andrej hat gesagt, er würde sich darüber sehr freuen.
FZ: Das neue Album will gespielt werden. Wie gross ist die Sehnsucht nach der Bühne?
VJ: Die Bühne ist auf jeden Fall meine Hauptmotivation. Ich liebe es, live aufzutreten und mit der Band unterwegs zu sein. Ich hab mich nie als Studiomusiker begriffen. Als die Platte kam, war sie ein kleiner Lichtblick. Aber es hätte genau so gut sein können, dass die ganzen Winterkonzerte wieder abgesagt werden. Gott sei Dank sieht’s aktuell gut aus und wir können spielen.
FZ: Zum Schluss noch eine Rückblende: In deiner Jugend in der niederösterreichischen Kleinstadt Tulln bist du Skateboard gefahren. War das für dich eine widerständige Erfahrung?
VJ: Skateboardfahren ist schon ein bisschen Anarchismus. Man nimmt sich den freien Raum, wie und wann man will. Das hat gut zu mir gepasst damals. Als Teenager habe ich eine Sporthauptschule besucht. Skateboardfahren ist ja auch eine Sportart, aber es steckt noch mehr darin: eine Kultur, ein Zugang zu Musik. Es tut sich da mehr auf als beim Fussballspielen. Das war schon sehr prägend für mich.
FZ: Warst du gut darin?
VJ: Ja, eigentlich schon. Wenn mir was taugt, dann tiger ich mich da rein. Wir sind schon täglich abgehangen und gefahren. Für heutige Verhältnisse ist das Kindergarten, aber für damals war das schon ganz okay.
FZ: Stichwort Anarchismus: Hast du revolutionäre Gedanken und Visionen davon, dass alles anders sein könnte?
VJ: Ich hab auf jeden Fall den Wunsch, dass sich die Dinge verändern. Da hab ich immer viel drüber nachgedacht. Aber mir war auch immer klar, dass ich das nicht bin, der Revoluzzer. Ich würd mich nach wie vor freuen, wenn irgendwas aufkommen würde, ein neuer Ansatz, für den es sich lohnen würde, sich einzusetzen.
Von Ralf Petersen