Im Interview mit der Fabrikzeitung sprach Universalkünstler Andres Lutz, verantwortlich für Text, Spiel, Regie und Bühne, über Gegensätze, Tofu-Wurst und darüber, dass man sich vor den Geistern, die man ruft, nicht zu fürchten braucht.
Fabrikzeitung: Andres Lutz, welche Gegensätze vereinst du in dir?
Andres Lutz: Melancholie und Heiterkeit. Die Melancholie ist dem heutigen Zustand der Welt geschuldet, ich beziehe aber Energie, indem ich durch die satirische Darstellung des gesellschaftlichen Zustandes Erleichterung anstrebe.
Die Dr. Lüdi Show ist ein Ein-Mann-Theaterstück, das humoristisch gemeint ist. Die Leute lachen, sind aber hoffentlich auch höher oder tiefer berührt. Der Abend hat den Anspruch, kein reines Schenkelklopftheater zu sein.
FZ: Du versuchst, erstarrte Denkmuster aufzulösen. Steckt das Bürgertum in einem goldenen Käfig?
AL: Wir sind Gefangene unseres Wohlstandes. Das ist im Stück ein zentrales Thema. Als wohlständige Westler*innen sind wir «woke» und engagiert, haben aber immer das eigene Wohlergehen und den eigenen Komfort im Auge. Zu postulieren, dass man ausbrechen muss aus der Bürgerlichkeit und aus dem Mittelstand – dass der Mittelstand immer auch Mittelmass ist – ist aber auch klischiert.
FZ: Benötigt es denn unsichere materielle Verhältnisse zur Erschaffung von Kunst?
AL: Nein. Wir profitieren in der Schweiz von materieller Sicherheit, von einem sehr luxuriösen Leben, auch im Kulturbereich. Natürlich besteht der Generalverdacht, der Argwohn, dass da nichts Gültiges entsteht oder nur wohlstandsgeborenes Wohlfühlzeugs hergestellt wird. Aber es ist ein Klischee, dass Künstler*innen extreme Dinge passieren müssen, damit Gültiges entsteht.
FZ: In deiner neuen Show – Lüdi ruft die Geister – geht es darum, dass die Dinge beseelt sein können. Gruselst du dich vor Geistern nachts im Dunkeln?
AL: Nein. Der Titel ist doppeldeutig. Einerseits geht es darum, dass ich im Stück Geister rufe, aber keine klassischen Gespenster in Leintüchern, sondern den Geist, der ganz generell der Materie innewohnt. Natürlich rufe ich auch mein Publikum, dem ich ja attestiere, dass es Geist besitzt.
Es ist ein altes Thema, dass es Aufgabe der Künstler*innen sei, Materie zu beseelen. Wir bildenden Künstler*innen stellen Produkte her, die wir mit einer spirituellen Energie aufladen, damit sie zu Objekten werden, die eine geistige Ausstrahlung auf alle haben, die sie betrachten.
Es gibt ein esoterisches Livestyle–Angebot in meinem Bühnenprogramm, eine sogenannte Tofuwurstwoche. Da wird Ayahuasca mikrodosiert konsumiert, anschliessend wird man mit der Aufforderung, man solle die Materie ansprechen, losgeschickt. Die Bäume, die Steine, das Wasser und den Himmel. Und man werde sehen: Alles sei beseelt. Eine Figur führt dann einen Dialog mit Müllhalden am Strassenrand. Nicht die grossen Felsformationen oder der schöne See, in dem sich der Himmel spiegelt, geben diesem Individuum Antwort, sondern irgendwelche umgekippten Monobloc-Stühle. Es ist Aufgabe des empfindenden und denkenden Individuums, einem Monobloc-Stuhl zu attestieren, dass er ein Leben hat, dass er spricht und dass er mit jemandem, der oder die ihn betrachtet, in einen Dialog treten kann.
FZ: In einem deiner Videos rufst du in verschiedenen Rollen Personen an und bittest um Gefallen. Wie kann man Menschen dazu ermutigen, nicht nur mit den Dingen, sondern auch miteinander zu interagieren?
AL: Ich finde nicht, dass wir Künstler*innen auf einer menschlichen Ebene Vorbildcharakter haben können. Wir sind auch nur kleine Arschlöcher. Was möglich ist, zum Beispiel im Theater, ist die Leute zu unterhalten. Das heisst nicht, sie lediglich zu zerstreuen, sondern einen geistigen Inhalt anzubieten, indem man eine gute Geschichte erzählt oder durch Ironie Transzendenz erzeugt. Das ist ein Beitrag, den ich zu leisten probiere.
FZ: «Man want happy», heisst es in einem deiner Lieder.
AL: Der Wunsch nach Glücklich- und Aufgehobensein scheint so einfach und elementar. Deswegen hab ich den Satz in dieser Babysprache gewählt: Man want happy. Das ist mein Leitspruch.
FZ: Als Comedian hörst du oft das Lachen der Leute. Macht dich das glücklich?
AL: Absolut! Ich habe die Veranlagung, lustige Geschichten zu erzählen. Die Leute lachen dann. Oft geschieht es auch, dass mir Menschen sagen, es sei ihnen nicht gut gegangen, dann haben sie auf YouTube ein Video von mir geschaut, und danach ging es besser. Mein Video war dann ein kleiner Gute-Laune-Shot. Das befriedigt mich schon. Deshalb heisse ich auch Dr. Lüdi, weil ich finde, so eine Mikrodosis Erheiterung ist auch ein ärztlicher oder psychiatischer Eingriff. Auf der Bühne, wenn die Leute lachen, das ist schon was Geiles.
FZ: Es ist auch Medizin für dich.
AL: Wenn der Saal voller Leute ist, denen ich etwas geben kann, und sie fühlen sich gut unterhalten oder vielleicht sogar ein wenig erhöht, geistig oder gar spirituell berührt, und sie kommunizieren mir das – dann befriedigt mich das. Es ist aber auch so wie der deutsche Dichter Durs Grünbein sagen würde: Eine wahnsinnige Anstrengung für ein bisschen abgeleckt werden. Es ist Lust und Last für mich.
FZ: Die Schweizer Künstlerin Pipilotti Rist hat in einem Interview gesagt, sie wäre lieber weniger angepasst, als sie es ist. Aber ständig Ideen zu haben, wie man eine Situation auch anders und besser leben könnte, bedinge überschüssige Energie. Daher sei es bequemer, angepasst zu sein.
AL: Das kann ich so unterschreiben. Es gibt einen sehr schönen Satz des amerikanischen Künstlers Paul Thek: «The wonderful world, that almost was», was eine wehmütig-poetische Umschreibung davon ist, dass die Welt schöner sein könnte, als sie es ist, und dass eigentlich wenig dazu fehlen würde.
In meinem Stück kommt eine Figur vor, die sich fragt, was sie alles unternehmen könnte, damit es besser ist für sie selbst, für die Umgebung und für die Welt. Es gibt kein richtiges Leben im Falschen, das ist Adornos berühmter Spruch. Wenn es weltpolitisch kracht, kann man vor seinem Häuschen ein Gärtchen züchten, aber die grossen Probleme werden dadurch nicht gelöst. Natürlich hat man ein Recht auf einen kleinen Frieden, aber wenn man in der Küche steht und sich Sushi aus Schweizer Fisch zubereitet und im Radio von Syrien und der Ukraine hört, sorgt das eben für schlechte Träume. Diese Gegensätze auszuhalten sorgt in uns für ein permanentes schlechtes Gewissen. Man darf nicht aufgeben, nur weil auf der Welt die Kacke dampft.
FZ: Hast du Angst, dein Kopf würde explodieren, wenn die Reise ins Land der Gedanken, der Fragen und möglichen Antworten kein Ende hat?
AL: Ich neige nicht zum wahnsinnig Werden vor lauter Ungelöstem. Ich beobachte an mir, dass ich, wenn ich eine Frustration habe, irgendwas wehtut oder mich nervt, darauf baue, dass ich es bald wieder vergessen haben werde. Das kann man Verdrängung oder Bequemlichkeit nennen, es ist aber einfach ein Überlebensreflex, der ungefragt eintritt. Alle Probleme auf den Schultern tragen zu wollen, wäre ein eigenartiger Jesus-Trip.
FZ: Wenn ein Problem durchdacht scheint, tritt noch eins auf, das durchdacht werden will.
AL: Die Welt wird einfach nicht besser. Einiges wird auch immer schlimmer.
FZ: «Whatever the men can do, the men will do», singst du. Was kann der Mensch nicht und macht es trotzdem?
AL: Das ist das Zauberlehrlingsthema: Der Mensch will alles probieren, was ihm irgendwie möglich ist. Der Mensch ist ein Tier mit Forschergen, er ist neugierdekrank. Es geht immer weiter, bis alles in Plastik versinkt.
FZ: Magst du Hunde?
AL: Nein. Ein Hund auf dem Bauernhof, der dort einen Job hat, Viehherden rumzutreiben, ist in Ordnung. Aber der Hund als Familienmitglied, dessen Scheisse man mit dem roten Plastiksäcklein aufsammelt, das finde ich ziemlich schmuddelig. Freunde von mir sind leidenschaftliche Hundehalter und es ist mir sehr fremd.
FZ: Gibt es etwas, dass du bereust im Leben?
AL: Ja, natürlich. Die, die nichts bereuen, lügen.
Von Ralf Petersen
Ab dem 4. März spielt die Dr. Lüdi-Show an sechs
Terminen im Fabriktheater.