Das Internet. Internet der Dinge. Industrie 4.0. Künstliche Intelligenz (KI). Robotik. Big Data. Vor uns stehen massive wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderungen, Das kann durchaus furchteinflössend wirken. Die Liste der ausgemalten Ängste ist lang: Wachsende Arbeitslosigkeit bis hinein in akademische Berufsgruppen – wenn intelligente Maschinen Jobs übernehmen und nicht ausreichend neue Jobs entstehen.
Verstärkung der Kluft zwischen Gering- und Topverdienern, weil die Konkurrenz zwischen Maschinen und Menschen die Kosten für prinzipiell ersetzbare menschliche Arbeit senkt. Dazu: Wachsende Monopolisierung, sinkende Steuereinnahmen, erodierende Sozialsysteme und zunehmende Überwachung und Kontrolle aller Lebensbereiche – was bis zu gewissen Verhaltenssteuerungen führen kann. Und nicht zuletzt zeigt sich eine derart vernetzte Gesellschaft höchst gefährdet, da nicht nur Unternehmen und Geheimdienste, sondern auch Kriminelle Zugriff auf Computer und Daten erlangen können und sich ganze Gesellschaften mit großen Cyberangriffen etwa mittels einer nuklearen EMP-Waffe lahmlegen lassen.
Düstere Aussichten? Oder birgt die digitale Technik vielleicht vielmehr eine hoffnungsvolle Alternative? Zum Beispiel die Möglichkeit, den irrationalen kapitalistischen Markt und seine zerstörerische Massenproduktion in eine rationale, flexible, ökologische und demokratisch kontrollierte Echtzeit-Planwirtschaft zu überführen.
Die unsichtbare Hand des Marktes bringt bislang Anbieter und Käufer erst nach Entwicklung und Herstellung eines Produkts zusammen. Waren und Dienstleistungen überschwemmen den Markt und landen oft im Müll bzw. in der Arbeitslosigkeit: Sie treffen auf keine oder auf zu wenig Nachfrage.
Gegenwärtig werden die Betriebsabläufe von Einkauf, Entwicklung, Herstellung, bis zur Auslieferung immer genauer und granulärer geplant – mit digitaler Technik. Unternehmen werden so zu sich selbst steuernden «kybernetischen» Organismen, in denen die Menschen als intelligente, selbstorganisierte, aber auch gesteuerte Akteure neben anderen intelligenten Systemen oder Robotern integriert sind. Während so die internen Abläufe in Unternehmen immer detaillierter gesteuert werden können, herrscht auf dem Markt Chaos – das letztlich aus einer Ideologie als Religionsersatz heraus begründet wird: Es herrscht der Glaube, dass der Markt am besten läuft, wenn die Menschen ihn nicht steuern, sondern sich ihm und seiner unsichtbaren Hand überlassen oder unterwerfen.
Mit der weiteren Automatisierung können die Märkte mit noch mehr Billigprodukten für den Massenkonsum geflutet werden: eine gigantische Verschwendung, die schon jetzt durch Artensterben, Umweltverschmutzung und Klimawandel immer bedrohlicher wird. Absehbar ist, dass mit der digitalen und KI-gesteuerten Automatisierung die vom Ökonomen Joseph Schumpeter beschriebene «kreative Zerstörung» des Kapitalismus nicht nur an äußere, etwa ökologische oder durch Verarmung soziale Grenzen stößt, sondern auch auf eine innere, wenn durch technische Innovationen die Aufnahmefähigkeit der Märkte überschritten wird und kaum mehr Gewinne erzielt werden können.
Das erinnert an den von Karl Marx behaupteten tendenziellen Fall der Profitrate, was heute etwa von Paul Mason oder Jeremy Rifkin aufgenommen wird. Nach Mason bewirkt der technische Fortschritt, dass die Produktivkräfte die Produktionsverhältnisse sprengen, wenn Maschinen den Produkten keinen Wert zufügen. Dies kann nur durch menschliche Arbeit geschehen, heute bspw. Wissensarbeit. Jeremy Rifkin geht ähnlich davon aus, dass durch die fast kostenfreie Vernetzung, durch billige, selbstproduzierte erneuerbare Energien und dezentrale Produktionen die Grenzkosten Richtung Null gehen und Gebrauchswerte kaum mehr Tauschwerte sind. Beide leiten davon ab, dass ein neues, kooperatives und kollaboratives Wirtschaften im Entstehen ist. Keine Vergesellschaftung durch Verstaatlichung, sondern vielmehr durch dezentrales, gemeinsames Schaffen und Teilen. Gewirtschaftet wird dann nicht mehr auf der Ebene der privaten Unternehmen, sondern auf jener der Öffentlichkeit. Vergessen wird dabei, dass Informationsmaschinen zwar den materiellen Maschinenpark von der Software, also Programmen bzw. Algorithmen trennen und dass flexible Maschinen, beispielsweise 3D-Drucker oder intelligente Roboter, alles Mögliche produzieren können, aber dass die Angewiesenheit auf materielle Ressourcen stets bleibt. Wenn diese knapp werden oder sind, entstehen hier durch Besitz oder Ausbeutungsrechte einseitige Gewinne, sofern nicht auch sie vergesellschaftet werden.
Ebenso wie weltweite Kommunikation und Interaktion in Echtzeit über digitale Netze organisiert werden kann, können weltweit verstreute Organisationen, Unternehmen und Fabriken die internen Abläufe in Echtzeit synchronisieren und planen. Es wäre bei hochgradiger Vernetzung ein Echtzeitabgleich zwischen Nachfrage und personalisiertem Angebot möglich, um Bedürfnisse und Produktion in selbstorganisierten und dezentralen kybernetischen Rückkopplungsschleifen zu verbinden. Was Konzerne werk- und länderübergreifend als optimierte Produktionsplanung mit Computersystemen über die gesamte Wertschöpfungskette anstreben, könnte auch unter der Bedingung der Vergesellschaftung der Produktionsmittel für an die Bedürfnisse der Menschen gekoppelte Wirtschaftssysteme realisierbar sein. Das könnte eine gerechtere Gesellschaft begründen, in der die zunehmende Automatisierung nicht mehr zum Auseinanderdriften von Arm und Reich und zu einer wachsenden Schicht von Überflüssigen, sondern zu einem Ende der Not und der Ausbeutung von Menschen und Natur führt.
Die sozialistische Planwirtschaft ist aus vielerlei Gründen grandios gescheitert – vielleicht auch daran, dass die technischen Grundlagen für eine wirklich bedarfsorientierte und rationale Planwirtschaft, nicht gegeben waren. Der Historiker Gerd Koenen schrieb in seinem unlängst erschienenen Buch «Die Farbe Rot» über die Wirtschaft in der Sowjetunion:
«Die Planung, das Kernstück sozialistischen Wirtschaftens, war bei näherer Betrachtung nicht nur eine Fiktion, sondern wurde zu einem Instrument der universellen Desinformation. Irreal war bereits die Vorstellung, die Produktionsprozesse von Millionen von Einzelprodukten zentral planen und steuern zu können. Tatsächlich waren die legendären Fünfjahrespläne ohne jede bindende Wirkung, sie trugen rein propagandistischen Charakter… Dagegen fielen die operativen Pläne (Jahres-, Quartals- und Monatspläne für die einzelnen Branchen, Regionen oder Kombinate unter das alles umspannende Staatsgeheimnis… Die Zahlen konnten nur die Produzenten liefern, in der Regel waren das eher Schätzungen als konkrete Festlegungen. Faktisch konnten die operativen Pläne daher nicht vorausschauend, sondern nur nachträglich aufgestellt und verabschiedet werden.»
Dieser Beschreibung nach hängt alles an der Verfügbarkeit von gewaltigen Datenmengen (Big Data), die zur Steuerung der Prozesse erhoben, zusammengeführt und ausgewertet werden müssen. Heute gibt es diese Möglichkeit zunehmend: automatisiert Wirtschafts- und Produktionsabläufe zu organisieren. Zwar werden solche Ansätze wie bei der Industrie 4.0 erst einmal für die Wertschöpfungsketten einzelner Betriebe (smart factory) geplant, um etwa erst zu produzieren, wenn ein individualisiertes Produkt bestellt wurde. Aber man will mit der Technik ja auch ganze Städte (smart cities) steuern und optimieren. Warum also nicht auch Märkte, die dann nicht mehr blind für einen Massenmarkt produzieren und dabei Ressourcen verschwenden?
Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass in der Frühgeschichte des Computers und noch vor der Existenz des Internet, Vorstellungen einer Managementkybernetik zur Steuerung einer automatisierten Fabrik in den 1950er Jahren entwickelt wurden. Der Brite Anthony Stafford Beer gilt als Begründer der Managementkybernetik und hat 1971 in Chile, unter der Regierung von Salvador Allende, mit dem Philosophen Fernando Flores das Cybersyn-Projekt entwickelt. Damit sollte für staatliche Betriebe eine kybernetische Planwirtschaft auf der Grundlage des Computerprogramms Cyberstride aufgebaut werden, die Prozesse in Echtzeit durch Computer und ein Fernschreiber-Netzwerk steuert und von einer Kommandozentrale kontrolliert wird. Die Idee war, eine Alternative zum kapitalistischen Markt und zur sozialistischen, zentralen Planwirtschaft zu finden.
Das für heutige Bedingungen primitive System war noch im Aufbau, als Allende durch den vom Westen gestützten Militärputsch beseitigt wurde. Mit brutaler Gewalt wurden alle sozialistischen Oppositionellen verfolgt, inhaftiert, gefoltert und mitunter exekutiert. Auch Cybersyn wurde begraben, der Kontrollraum zerstört.
Anstelle der experimentellen, auf damals moderner Technik basierenden Planwirtschaft, kamen dann die von Friedrich August von Hayek und Milton Friedman inspirierten Chicago Boys: Chile sollte ein kapitalistisches, neoliberales Wunderland werden. Im Nachhinein könnte man behaupten, dass das Projekt Cybersyn, das die im Rahmen der sozialistischen Politik entstandenen Wirtschaftsprobleme lösen sollte, dem kapitalistischen Westen, allen voran der USA, zu gefährlich erschien und man daher lieber schnell die «freie Marktwirtschaft» einführte – mit Hilfe einer repressiven Militärdiktatur. Radikal wurden die üblichen Deregulierungs- und Privatisierungsmaßnahmen wie Senkung der Steuern oder Privatisierung der Bildung und des Gesundheitssystems umgesetzt. Folge war eine wachsende Kluft zwischen Armen und Reichen. Anfang der 1980er Jahre geriet Chile nach anfänglichen Erfolgen in eine schwere Rezession. Das Experiment galt als gescheitert, die Folgen sind bis heute zu spüren.
Es wäre an der Zeit, wieder über eine sich selbst organisierende Planwirtschaft nachzudenken – als eine konkrete Utopie. Die technischen Voraussetzungen für eine Postwachstumsgesellschaft wären da; jenseits von Maschinensteuern oder einem bedingungslosem Grundeinkommen, die nur den Status quo zu wahren suchen. «Paradigmenwechsel» werden auch von lernenden KI-Systemen mit Ausschöpfung von Big Data und tiefem Lernen nicht ermöglicht, da sie sich am Bekannten, Vorgegebenen oder Gegebenen ausrichten. «Ohne Dimension Zukunft», so schrieb der mittlerweile zu Unrecht vergessene Philosoph Ernst Bloch, «hält es kein Dasein lange aus.»