In einer Welt, die ständig in Bewegung ist, sind wir ökologisch verpflichtet, den Wert des Müssiggangs zu schätzen.
Wenn wir die Idee der «Brache» über die Landwirtschaft hinaus in den Bereich der politischen Ökonomie übertragen, können wir die Beziehung zwischen der Akkumulation von Kapital und der Produktion einer städtischen Struktur erahnen. Als entscheidender Wandel, der sich im Laufe der Zeit vollzogen hat, galt Müssiggang nun nicht mehr als wertvolle regenerative Tätigkeit, sondern als Verschwendung. Die Machenschaften, die durch die Kräfte des Kapitalismus in der Gesellschaft entfesselt wurden, trugen auch dazu bei, die zentrale Bedeutung des «Brachliegens» in sozialen und ökologischen Prozessen zu verdrängen. An die Stelle des Brachliegens trat eine Fortschrittsideologie, die Müssiggang und Untätigkeit verurteilte.
Die Rationalisierung des Raums im Kapitalismus ist eine Facette der Fortschrittsideologie, die sich tiefgreifend auf die Raumplanung der Gesellschaft in der Natur ausgewirkt hat. Für den marxistischen Geografen David Harvey ist die Anhäufung von Kapital eng mit dem Prozess der Urbanisierung verknüpft. Urbanisierung ist für ihn die physische Manifestierung des Strebens nach einer «rationalen Landschaft», in der die Hindernisse für die Umschlagszeit der Kapitalanhäufung beseitigt sind. Nach diesem Verständnis führte das Brachliegenlassen von Flächen zu unannehmbaren Reibungen im kapitalistischen System. Der Stadt- und Umweltgeograf Matthew Gandy weist besonders auf diese Verschiebung hin und bemerkt, dass «die Idee der Ruhe und insbesondere des ruhenden Raums – des Schlafenlassens der Erde – dem beschleunigenden und allumfassenden Impuls der Spätmoderne widerspricht». Die Instrumentalisierung des Raums zeigt sich jedoch bereits zur Mitte des 19. Jahrhunderts, als Ildefons Cerdà in seinem Eingangsstatement zur Urbanisierung darauf abzielt, «die Erde zu füllen». Als der britische Städteplaner Ebenezer Howard zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit seinem bahnbrechenden Projekt der Gartenstädte versuchte, «die Funktionalität durch ein mit Aktivitäten gesättigtes Gebiet zu maximieren», wurde diese programmatische Gestaltungsvision vollends institutionalisiert.
Indem auch die Zeit rationalisiert und unter dem Wachstumsimperativ zusammengefasst wird, lassen sich Praktiken legitimieren, mit denen die Menschen in neue soziale Beziehungen gezwungen werden. Wie der kritische Stadttheoretiker Alvaro Sevilla-Buitrago anmerkt, konnten beispielsweise «Reformer Untätigkeit nicht ertragen, ganz gleich, ob er sich auf die Qualität des Bodens bezog oder auf arme Bürger, die ihre produktive Zeit mit dem Betrachten des Viehs auf der Weide «verschwendeten», anstatt sich als Tagelöhner der Lohndisziplin zu unterwerfen».
Menschen – und Nicht-Menschen – durch Arbeitsdisziplin Produktivität abzutrotzen, war schon immer eine zentrale Eigenschaft des kapitalistischen Projekts, von den «Enclosure Acts» [der Auflösung der Allmendrechte in der Landwirtschaft] in England bis heute.
Die Erfassung der «verschwendeten Zeit» hatte jedoch noch eine andere soziale Dimension: die Schaffung neuer Formen von Staatsbürgerschaft, um die bürgerliche Vision der modernen Metropole zu untermauern. In New York beispielsweise interpretiert Sevilla-Buitrago den Bau des Central Park als eine «besondere Art von Anlage … [die] das Verhalten von einem System der Öffentlichkeit in ein anderes verlagern» sollte; und damit als einen Kampf, bei dem die Elite gegen die Aneignung des Strassenbildes von New York City durch neu angekommene Einwanderer antrat. Während der Geograf Tony Weis aufgezeigt hatte, dass langsame Rhythmen und regelmässige Pausen des Brachliegens die soziale Organisation auf fortschrittliche Weise beeinflussen könnte, sehen wir, dass die Abwertung des Müssiggangs ein kapitalistisches Subjekt gefördert hat, das mit den Rhythmen der kapitalistischen Zeit gleichgeschaltet ist.
Insgesamt bedeutete die neue Wertschätzung des Fortschritts anstelle des Brachliegens einen Paradigmenwechsel, der Raum und Zeit rationalisierte. Dies wiederum hatte radikale soziale, ökologische und ständige urbane Veränderungen zur Folge, die heute auf weltweiter Ebene zu spüren sind. Die Sicht auf unseren Planeten als eine Art immerwährende Wachstumsmaschine, deren Hauptzweck in der Jagd nach Profiten besteht, wirbelt die Erde in aufeinanderfolgenden Wellen kreativer Zerstörung durcheinander. Die Folge davon sind akute und chronische Pathologien entwerteter menschlicher sozialer Beziehungen, eine verringerte Vielfalt der Biosphäre und ein sich ständig veränderndes städtisches Gefüge.
Welche Auswirkungen hat der Wachstumsimperativ auf das Feld der Stadt- und Landschaftsgestaltung? Die gestaltenden Berufe, die in das Kapital eingebettet und damit wohl auch ein Werkzeug des Kapitals sind, werden dafür kritisiert, weitgehend auf eine Lösung der Probleme des verschwendeten Raums ausgerichtet zu sein, um Klassenverhältnisse und Anhäufungsprozesse wiederherzustellen. Kann eine Designkultur, die sich selbst als untrennbar an das Wachstum gekoppelt sieht, ihren analytischen Blick überhaupt auf die Produktion sozialer und ökologischer Werte ausserhalb kapitalistischer sozialräumlichen Beziehungen richten? Oder betrachtet sie Phasen der Untätigkeit lediglich als Gelegenheiten zur Förderung des nächsten Wachstumszyklus?
Im Kontext der aktuellen Landschaftsarchitektur und stadtplanerischen Praxis weist Matthew Gandy auf einen solchen Widerspruch hin: Einerseits wächst das Bewusstsein für den ökologischen Wert «langsamer Räume» bei der Gestaltung von Landschaften; andererseits werden Parks im Sinne des «neoliberalen Impulses» in den Dienst der Kapitalakkumulation gestellt. Darüber hinaus plädiert der Architekt Christopher Marcinkoski für eine «neu ausgerichtete stadtplanerische Praxis», in der sich der Berufsstand seiner Rolle in den Kreisläufen der Kapitalanhäufung bewusst ist und als Insider daran arbeitet, spekulative Prozesse für alternative Zwecke zu nutzen. Ungelöst bleibt jedoch die Frage, mit welchen Möglichkeiten sich Gestaltende gegen die regulatorischen und ökonomischen Systeme, in denen wir arbeiten, wehren oder diese gestalten. Können wir Projektaufträge innerhalb einer traditionellen Kunden-Designer-Beziehung verändern? Wie viel Kontrolle über die Ergebnisse sind Gestaltende bereit, an organische Interaktionen abzutreten?
Unsere Bewertungssysteme sind nicht unveränderlich – wir haben die Möglichkeit, die von uns geschaffenen Erzählungen und die von uns produzierten Bedeutungen neu zu gestalten. Wie könnten die Fachrichtungen Planung und Gestaltung die Frage der Aufwertung von «Inaktivität» und damit auch unser Verständnis von Fortschritt angehen? Die Antwort hierauf steht noch aus und es bleibt abzuwarten, ob Gestaltende die Kontrolle an echte Spontaneität oder «inszenierte Nichteinmischung» abtreten können.
Während Cerdà und andere versuchten, «die Erde zu füllen» und damit die Urbanisierung auf die Weltbühne katapultierten, müssen wir uns fragen, ob eine zukünftige urbane Welt um das «Schlafenlassen der Erde» herum gestaltet werden kann. Wenn ja, wie könnten diese Ansätze aussehen? Eine radikale Antwort auf diese Frage ist das vom Biologen Edward O. Wilson vorgeschlagene Half-Earth-Projekt. Demnach würde die Hälfte der Erdoberfläche der Nutzung entzogen und für den Erhalt der Biosphäre zurückgestellt. Dieser Ansatz weist jedoch erhebliche sozioökologische Fallstricke auf. Wie der Umweltwissenschaftler Erle Ellis anmerkt, könnte das Projekt bei mangelhafter Umsetzung zum grössten grünen Raubzug in der Geschichte der Menschheit werden. Zudem scheint es plausibel, dass sich die Ungleichheit aufgrund eines verstärkten Flächennutzungsdrucks in der Half-Earth-Lösung ohne angemessene Schutzmassnahmen zusätzlich verschärfen könnte. Nichtsdestotrotz ermutigen uns Ellis und Wilson jedoch mit ihren Überlegungen dazu, grosse Landbewirtschaftungspläne ernst zu nehmen, um biologische Vielfalt und ökologischen Wert im Anthropozän wiederherzustellen.
Auch in viel kleinerem Massstab gibt es Strategien, wie Boden kulturell und ökologisch aufgewertet und doch gleichzeitig der Nutzung entzogen werden kann. Die Kulturgeografin Caitlin DeSilvey plädiert dafür, das Schwarzweiss-Denken von menschlicher und nicht-menschlicher Natur bei der Bewahrung postindustrieller Böden zu überwinden. Dafür schlägt sie beispielsweise vor, die Idee der «boundary work» einzubeziehen. Diese hinterfragt Praktiken des Kulturerbes, die auf der Einteilung von Artefakten in formalisierte Kategorien beruhen und plädiert stattdessen für eine Methode, die beim Erhalt von Industrieruinen durchlässige Grenzen und die kontinuierliche Verhandlung von Natur und Kultur einbezieht. Einen dritten Ansatz schlägt die Landschaftsarchitektin Jill Desimini vor, nach dem die Konturen von Brache und Wildnis genutzt werden sollen, um Gestaltende zu ermutigen, die vielschichtigen Nutzungswerte überwachsener Räume zu erkennen. Sie betont das kontraintuitive Ergebnis einer grösseren ökologischen und sozialen Vielfalt, die aus dem «vorübergehenden Loslassen» entsteht.
Was die Aufwertung von «Inaktivität» angeht, die von gestalterischen Eingriffen ausgehen könnte, so liefern die oben genannten Beispiele drei verschiedene Ansätze innerhalb eines Spektrums menschlicher Einflussnahme auf den Raum. Vertreterinnen des ersten Ansatzes plädieren für eine starke Trennung von Mensch und Natur und für intensive menschliche Bemühungen, Land der Nutzung zu entziehen, um den ökologischen Reichtum zu erhalten. Verfechterinnen des zweiten Ansatzes begrüssen die verschwimmenden Grenzen zwischen Mensch und Natur als Möglichkeit, die Aufwertung kultureller und natürlicher Ressourcen durch einen sich entwickelnden Zwischenraum des Bauens und Verschwenden zu fördern, der ausserhalb der Sphäre ständigen Wachstums liegt. Vertreter*innen des dritten Ansatzes plädieren für eine «Laissez-faire»-Haltung, die spontane Ausbrüche neuer Formen von menschlicher und nicht-menschlicher Aktivität durch weniger menschliches Eingreifen zulässt.
Eine noch weitreichendere Chance für die aktuelle Designpraxis bietet die Degrowth-Bewegung. Sie hat ihre Wurzeln im sozialen Aktivismus und ist Teil einer viel älteren Tradition von Wachstumskritik. Das Konzept des Degrowth steht den grundlegenden Strukturen und Funktionen der kapitalistischen Wirtschaft im Kern kritisch gegenüber. Anstelle der ständigen Dialektik von Entwertung und Aufwertung als Kreislauf im Kapitalismus bietet die Vision des Degrowth so etwas wie einen Ausweg, die den Mechanismus der unaufhörlichen Wachstumsmaschine unterbrechen kann. Zwar wertet Degrowth den Müssiggang im Kontext der kapitalistischen Urbanisierung nicht an sich auf, doch kann es ein experimentelles, vielfältiges, integratives und lebendiges Stadtgefüge fördern, indem es von dem durch endlose Produktions- und Konsumzyklen entstehenden Wettbewerbsdruck ablässt.
Wenn die Logik des Kapitals die Suche nach einer «rationalen» Landschaft und deren Produktion ist, dann könnte Degrowth darauf abzielen, das Irrationale zu nutzen oder nach Heterogenität zu streben. Wir könnten zum Beispiel das erweitern, was wir unter einer geeigneten Artenzusammensetzung im städtischen Umfeld verstehen, indem wir nicht-menschliche Tiere in unserem Theorie- und Begriffsapparat in den Vordergrund stellen. Wir können uns auch darin üben, in Räumen, die nicht mehr vom Kapital geschätzt werden, «loszulassen». Für diesen Fall liefert die «Dritte Landschaft» des Landschaftsgestalters und Künstlers Gilles Cléments eindrucksvolle Beispiele, wie der Mensch die Kontrolle über die ästhetische Produktion der Landschaft an die Natur abgibt und dabei gleichzeitig eine hohe Biodiversität fördert. Gestaltende, die sich mit der Idee des Degrowth befassen, müssen sich auch mit der Frage auseinandersetzen, wie sie dem Nutzwert Vorrang vor dem Tauschwert einräumen können. Der seit den 1990er Jahre im Rohbau stecken gebliebene Wolkenkratzer «Torre de David» in Caracas in Venezuela, der sozialräumliche Beziehungen ausserhalb des kapitalistischen Auf- und Entwertungskreislaufs überdenkt, ist ein prominentes Beispiel dafür, wie sich ein lebendiges Gemeinwesen in den Abfällen der Finanzspekulation entfalten kann.
Wie David Harvey jedoch schreibt, löschen die Planer letztlich nur Brände, die aus der chronischen Instabilität des städtischen Gefüges im Rahmen kapitalistischer Urbanisierung entstehen, ohne sich jedoch mit den Bedingungen auseinandersetzen (bzw. auseinandersetzen zu können), die diese Brände verursachen. Eine zentrale Herausforderung für Gestaltende wird also darin bestehen, eine kollektive Vision für das Wirken von Design zu entwickeln, die demokratisch und partizipatorisch ist, und die der Wachstumshegemonie entgegenwirken kann, ohne dabei vom Kapital als nur eine weitere Anhäufungsstrategie vereinnahmt zu werden und damit zu seiner Aufrechterhaltung beizutragen. Dazu ist allerdings noch viel Arbeit nötig, um ein breites Bündnis aller Beteiligten aufzubauen, das den rastlosen Energien des Kapitals Widerstand leisten kann.
Die einst geschätzten Augenblicke des Innehaltens – des Müssiggangs – sind von einem Paradigma ständiger Aktivität abgelöst worden; und doch existiert ein theoretisches und praktisches Potenzial für Stillstand in einer Welt, die immer in Bewegung ist. Das Brachliegen könnte eine Möglichkeit für einen Ausstieg aus dem Kreislauf der kapitalistischen Wertschöpfung und -vernichtung bieten.
Inzwischen beginnen wir, das Ausmass der Auswirkungen zu begreifen, die eine Fortschrittsideologie auf das städtische Gefüge, die soziale Organisation, die ökologischen Prozesse und das Klima im weiteren Sinne hat. Deshalb rufen wir in diesem Essay die miteinander verwandten gestalterischen Disziplinen – insbesondere die Stadtplanung, Architektur und Landschaftsarchitektur – dazu auf, die Idee der Brache ernst zu nehmen und nach Lösungen zu suchen, die jenseits der kapitalistischen Logik des ständigen Auf- und Rückbaus liegen.