Im Jahr 2016 fuhr der Bildhauer Joseph Reginella mit seinem Neffen auf der Staten Island Fähre. Während eines ausuferndenden Gespräches darüber, wie viele Haie wohl in den Gewässern der Upper New York Bay leben, hatte Reginella einen Ausbruch von Inspiration. «Hast du je von der Staten Island Ferry Oktopus-Katastrophe gehört?», fragte er seinen Neffen. Dieser war von der Geschichte so begeistert, dass Joe ausprobieren wollte, ob er auch andere Menschen davon überzeugen konnte. Er schuf ein Denkmal aus bronzefarbenem Styropor und installierte es im Battery Park in Manhattan: Eine Fähre in den Fängen riesiger Tentakel. Weitere Monumente folgten: für die Brooklyn Bridge Elephant Stampede, die NYC UFO-Schlepper-Entführung und die Gründung der Ed-Koch-Wolf-Stiftung. Doch manche Dinge übersteigen sogar seine Vorstellungskraft: Ein halbes Jahrzehnt später überschwemmt eine Pandemie den Globus. In dieser Zeit suchen wir Joe in seinem Atelie auf Staten Island heim, wo er gerade an seinem neuesten Projekt arbeitet.
Cara Giaimo: Wie geht es dir?
Joseph Reginella: Na du weisst schon. Ich hab Essen für ein paar Wochen, Alk und ein Projekt, an dem ich arbeite. Im Juni ist es fällig – hoffentlich wollen sie es noch haben. Ich habe also genug, um mich am Laufen zu halten, da bin ich wohl dankbar für.
Wie bist du auf die Idee von Fake-Denkmälern gekommen?
Ich bin in den späten 70er und frühen 80er Jahren aufgewachsen. Monster- und Horrorfilme, Slasher-Filme, das hat mich irgendwie dazu inspiriert, Künstler zu werden. Als «Freitag der 13.» herauskam, war ich etwa zehn Jahre alt. Ich wollte etwas über Special Effects lernen, und war besessen von dieser Zeitschrift «Fangoria». Durch Bücher und Zeitschriften lernte ich, dass du für diese Dinge erstmal Bildhauerei beherrschen musst. Hier bin ich, 30, 35 Jahre später – Jeez, ist das schon so lange her? Nun verdiene ich damit meinen Lebensunterhalt. Vor etwa fünf oder sechs Jahren habe ich meinem Neffen ein Babybett gebaut. Es stellt eine Szene dar vom Ende des Films «Der weisse Hai». Jene, in der der Hai auftaucht, das Boot zerbeisst und, wie heisst er nochmal, Robert Shaw, verschluckt. Ich dachte, es würde ein witziges Foto werden. Es wurde zum Hit und die Leute sagten: «Diese schrecklichen Eltern!» Und ich dachte: «Die Leute glauben wirklich, dass das Kind in diesem Ding schläft?» Das war der Beginn der Denkmäler.
Wie erreichst du diesen Effekt – dass die Leute glauben, dass es echt ist?
Bei der Denkmalserie mache ich eine Statue, die einem Ereignis gewidmet ist. Das untermauere ich dann mit allen möglichen Fakten. Ich mache Websites und Broschüren, die wir in einen Informationskiosk legen. Die Leute fragen sich: «Warum zum Teufel habe ich noch nie davon gehört?» Aber es fällt eben immer auf ein Datum, bei dem diese Nachricht übertrumpft worden wäre. Wie der Oktopus-Angriff: Er war just an dem Tag, an dem JFK ermordet wurde. Also halten die Leute inne und sagen: «Ach so, deshalb haben wir wohl nie davon gehört.» Sogar nachdem sie herausgefunden hatten, dass es eine Fälschung war, kamen sie immer noch und machten Selfies. Also beschloss ich, eine Serie zu machen. Ich habe die mit den Elefanten gemacht, und die lief sehr gut. Ich machte weiter: In den 1970er Jahren gab es im Juli einen Stromausfall in New York. Die Stadt geriet in Aufruhr. Und in dieser Nacht hatten Arbeiter auf einem Schlepper behauptet, sie hätten ein privates Flugzeug in den Hafen abstürzen gesehen. Sie gingen nachschauen und riefen die Küstenwache, aber als die Küstenwache auftauchte, war der Schlepper verschwunden. So entstand dieser Mythos, dass das UFO sie mitgenommen hat. Ich habe eine Statue eines Hafenarbeiters angefertigt, mit einem Alien-Körper.Und die Leute glaubten es! Ich dachte: «Ihr verarscht mich doch.»
Was war die letzte Skulptur?
Erst letztes Jahr hab ich wieder eine gemacht. [Der damalige Bürgermeister von New York] Ed Koch hatte in den 70er Jahren eine wilde Idee, wie Sprayer davon abgehalten werden könnten, nachts die U-Bahn-Züge mit Graffiti zu beschmieren: Er sperrte Wölfe in die Waggons. Und von da sind sie in den Untergrund gewandert. Jahrzehntelang haben sie in den Tunnels der Stadt gelebt. Nur nachts kommen sie in die Parks, um zu fressen. Und das ist einer der Gründe, warum die Parks in der Dämmerung geschlossen werden. Auf der Gedenktafel steht: «Gewidmet den vielen Touristen, die jedes Jahr in New York City verschwinden. Und eine Erinnerung daran, warum die Parks in der Abenddämmerung geschlossen werden.» Das Denkmal wurde von der Ed-Koch-Wolf-Stiftung gespendet. Ich weiss nicht, ob du die Statue kennst – es ist ein Tourist, der von Wölfen zerfleischt wird.
Und woran arbeitest du zurzeit?
Ich arbeite an einer Reihe von Denkmälern, die den HeldInnen des Alltags gewidmet sind. Zum Beispiel dieser Typ, sein Name ist Wesley Autrey, du kannst ihn googeln, das war etwa vor 10 Jahren. Er stand auf dem U-Bahnsteig, als einer einen Anfall hatte und auf die Gleise fiel – und der Zug fuhr ein! Dieser Kerl sprang auf die Gleise und rollte sich selbst und den andern innerhalb von Sekunden in die Mitte der Gleise, wo er den Kerl festhielt, weil er fuchtelte. Er rettete ihm das Leben. Ich arbeite mit dieser Organisation zusammen, das ist sowas wie eine weltweite Sache. Ich mach lebensgrosse Statuen dieser Leute. Die werden eine Weile bei den Vereinten Nationen ausgestellt. Und dann auf dem Union Square, und was weiss ich, in Nashville. Es ist ein ziemlich cooles Projekt, vor allem, weil es das Ergebnis meiner Fake-Denkmäler ist und jetzt mache ich echte. Das ist total cool. An diesem Projekt arbeite ich mit jemandem aus einem anderen Studio zusammen. Ich mache die Körper und er die Köpfe. Er sollte eigentlich gleich rüberkommen, um einen Kopf vorbeizubringen. Wir sollten eigentlich in Quarantäne sein, aber der wird jetzt verflucht noch mal ein bisschen Zeit mit mir verbringen. Ich hoffe nur, er hat nicht diese Krätze!
Du bist auf Staten Island aufgewachsen, oder?
Ja, bin ich.
Wie war das so?
Wir hatten Pferde! Die Stadt ist wirklich nur einen Katzensprung entfernt, aber Staten Island war nur Bauernhöfe und so. Ich bin ’71 geboren. Als sie Ende der 60er Jahre die Verrazano-Brücke bauten, kamen alle aus Brooklyn und Queens nach Staten Island. Jetzt ist sie wie eine winzige Briefmarke, vierzehn mal sieben Meilen, auf der eine Million Menschen sitzen. Es gibt also keine Ställe mehr. Mitte der 80er Jahre zog ich nach New Jersey, weil meine Familie Pferde mochte und wir dort einen Stall hatten. Aber dort habe ich es gehasst. Scheiss Jersey. Also kam ich 1993 nach Staten Island zurück. Und seitdem bin ich am selben Ort geblieben.
Warum bist du zurückgekommen und was hat dich hier gehalten?
Nun, ich kann die Skyline von New York und Manhattan von meinem Fenster aus sehen. Ich bin also ganz nah dran. Aber es ist billig, weil es mietstabilisiert ist. Und ich habe dieses verdammt fabelhafte Studio: etwa dreitausend Quadratmeter offener Raum. Ich muss nicht mal mein Haus verlassen, um zur Arbeit zu gehen.
Gibt es auf Staten Island eine gute KünstlerInnen-Community?
Ja, aber ich bleibe für mich. Ich kümmere mich um niemanden. Ich verdiene mein Leben mit kommerzieller Kunst. Ihre Community ist ein wenig arty-farty. Ich mache andere Sachen.
Glaubst du, dass das Leben auf der Insel deine Arbeit beeinflusst hat?
Für die Denkmalserie ist NYC definitiv meine Leinwand. Aber ich denke, die Themen, die ich mir für diese Monumente ausgedacht habe – der Oktopus, die Brücke, das Schlepper-UFO, all das dreht sich eigentlich um das Wasser. Von daher ist es wohl unterbewusst eine Inspiration.
Wo sonst findest du Inspiration für deine Ideen?
Die ploppen einfach. Beim letzten Mal waren’s diese kleinen Tonfigürchen. Ich habe einfach ein paar Wölfe gemacht und sie aufgestellt – ich fand, es sah genial aus. Ich dachte: «Okay, jetzt muss ich mir eine Geschichte dafür ausdenken.» Was passierte, war, dass ich mir genau diese Geschichte über die Wölfe ausdachte, die ich dir erzählt hab. Und dann war ich in der Praxis meines Arztes. Er fragte: «Was hast du dieses Jahr vor?» Ich erzählte es ihm. Und er sagte: «Ich glaube, Ed Koch hat das mal versucht.» Ich schlug es nach und dachte: «Der Wichser, tatsächlich!»
Was ist mit dieser Pandemie? Hast du dir mit deiner Horror-geprägten Fantasie jemals so etwas ausgedacht?
Als ich als kleines Kind «Dawn of the Dead» sah, fantasierte ich davon, mich mit genug Vorräten im Keller zu verstecken. Das entspricht dem doch ziemlich gut.
Aus dem Englischen von Michelle Steinbeck
Weitere Informationen über Joseph Reginellas Arbeit finden Sie unter nycurbanlegends.com.