Feministinnen auf der ganzen Welt vernetzten, solidarisieren und unterstützen sich gegenseitig. Fünf Beispiele für grenzübergreifenden Frauenkampf – im Internet, wie auch auf der Strasse.
Der Hashtag #metoo kam im Oktober 2017 im Zuge des Skandals um den Filmproduzenten Harvey Weinstein auf Twitter auf und verbreitete sich wie ein Strohfeuer. Trotz seines Ursprungs in der glamourösen Parallelwelt von Hollywood, griff #metoo schnell um sich und schuf eine bis dahin einmalige Plattform: Unter der Prämisse «ich auch» teilten Abermillionen von Frauen, junge, alte, berühmte, unbekannte, Mütter, Töchter und Marginalisierte ihre Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt und Missbrauch. Die #metoo-Bewegung schrieb Geschichte.
Allem Spott, schlechter Satire und Stammtischwitzen zum Trotz ist #metoo heute nicht mehr aus dem Cyberspace wegzudenken und hat etwas Grösseres angestossen: Immer wieder schaffen feministische Hashtags seither Aufmerksamkeit für Themen, die sonst unter den Teppich zu fallen drohten: Als aktuellstes Beispiel gilt etwa #textmewhenyougethome. Der Hasthag wurde ins Leben gerufen, nachdem die Britin Sarah Everard am 3. März auf ihrem Nachhauseweg angegriffen und ermordet wurde. Seither berichten Frauen rund um den Globus von ihrer Angst alleine unterwegs zu sein und ihren Erfahrungen und Forderungen für mehr Sicherheit im öffentlichen Raum.
Dieser Austausch funktioniert virtuell, doch die Grenzen feministischer Vernetzung, Solidarität und Aktivismus enden nicht im Internet.
Solidarisch in Wort und Tat
«I am not free while any woman is unfree, even when her shackles are very different from my own.» – Das berühmte Zitat der Schwarzen und queeren Schriftstellerin und Feministin Audre Lord hat in den über fünfzig Jahren seit seiner Entstehung kaum an Aktualität eingebüsst.
Das Patriarchat agiert und herrscht global, deswegen muss auch die feministische Bewegung weltweit vernetzter, solidarischer und lauter werden.
Die feministischen Kämpfe sind zwar je nach Land und Kulturkreis oftmals unterschiedlich, aber immer stärker miteinander verbunden und aufeinander bezogen. «Das Patriarchat agiert und herrscht global, deswegen muss auch die feministische Bewegung weltweit vernetzter, solidarischer und lauter werden», sagt dazu Çağdaş Akkaya. Ihre Kollegin und Mitstreiterin Meral Çinar ergänzt: «Eine starke weltweite Bewegung stärkt auch die einzelnen lokalen Initiativen und ordnet sie in einem grösseren Kontext ein.» Das Patriarchat zeige zwar unterschiedliche Ausprägungen, die Wirkungs- und Unterdrückungsmechanismen, auf denen es fusst, sind im Kern aber dieselben.
Die beiden Türkinnen Çağdaş Akkaya und Meral Çınar leben unterschiedlich lange in Zürich. Hier sind sie Teil der ROTA, einer selbstorganisierten Gruppe von Migrant*innen, mehrheitlich aus der Türkei, aus Kurdistan und dem Mittleren Osten, welche sich für die Anliegen von MigrantInnen und Geflüchteten in der Schweiz stark macht. Daneben sind sowohl Akkay als auch Çinar feministisch aktiv. Im Fall von Meral Çinar war ihr feministisches Engagement der Grund, weshalb sie die Türkei verliess: Dort laufen mehrere Strafverfahren gegen sie. Çinars Aktivismus tat der Schritt ins Exil aber keinen Abbruch:
«Als etwa die Türkei vor kurzem ihrem Ausstritt aus der Istanbul Konvention bekanntgab, sammelten wir von hier aus kurze Videogrussbotschaften an den feministischen Widerstand in der Türkei. Und konnten somit zeigen, dass es uns nicht egal ist, was dort passiert», sagt Çinar. Für die Frauen vor Ort sei das ein wichtiger Moment zu merken, dass sie nicht alleine kämpfen, dass andere sich für ihre Kämpfe interessieren und sich mit ihnen solidarisieren. Die ROTA Frauen veranstalten etwa regelmässig Solidaritätsanlässe und sammeln Geld, zuletzt für die Anwaltskosten einer verhafteten feministischen Genossin, wie Akkaya erklärt.
Sichere Abtreibungen – egal woher Frau kommt
Neben internationaler Solidarität und der Vernetzung über Grenzen hinweg, sind in den letzten Jahren mehrere feministische Netzwerke entstanden, die ganz grundsätzlich grenzübergreifend agieren. So etwa die Initiative «Abortion without borders», welche im Dezember 2019 lanciert wurde. Sechs Organisationen, unter anderem aus Polen, Deutschland, England und den Niederlanden, haben sich mit dem Ziel zusammengeschlossen, Frauen, die in ihrem Wohnland keine sichere Abtreibungsmöglichkeit haben, eine solche zu ermöglichen. Vor allem Polinnen, aber auch Irinnen nutzen das Angebot des Netzwerks, welches nebst kostenlosen Informationen auch Zugang zu Abtreibungspillen anbietet und gegebenenfalls Auslandsreisen für die Betroffenen organisiert – und das alles auf Basis von Spenden. Laut eigenen Angaben konnten die Frauen von «Abortion without Borders» in den knapp anderthalb Jahren ihres Bestehens bereits sichere Abtreibungen für rund 2500 Frauen organisieren.
Historisch gegen die Nationalstaaten
Der feministische Kampf ist stets auch ein antikolonialer und einer gegen die Grenzen der Nationalstaaten.
Die internationale Vernetzung im feministischen Arbeitskampf suchen derweil Camila Baracat und Andrea Salaza. Die beiden Frauen sind die Mitbegründerinnen der «Coordinadora
Feminista 8M», der feministischen Koordination zum 8. März in Kolumbien.
Die Koordination wurde 2018 mit dem Ziel gegründet, sich um die Organisation des Frauentages am 8. März, beziehungsweise des Internationalen Tages der Arbeiterinnen, wie ihn Baracat und Salazar nennen, zu kümmern. Doch es bleib nicht beim nationalen Frauenkampf: «Wir gründeten innerhalb der Koordination 2019 ein internationalistisches Komitee, um einen grenzüberschreitenden Artikulationsprozess einzuleiten. Seither pflegen wir Beziehungen und teilen unsere Solidarität feministischen Organisationen und Kollektiven aus Lateinamerika und aus aller Welt.»
Die internationale Vernetzung, so die beiden Frauen, sei nicht nur eine aktuelle Notwendigkeit, sondern eine nahtlose Weiterführung historischer Tatsachen, denn der feministische Kampf, so Baracat und Salaza, sei stets auch ein antikolonialer und einer gegen die Grenzen der Nationalstaaten. Es sei entsprechend unvermeidbar, gemeinsame Strategien zu fordern, um sich patriarchalischer Gewalt zu widersetzen und gegen Tendenzen einzustehen, welche die Fortschritte der feministischen Bewegung bedrohen. Dazu gehören die weltweit erstarkenden fundamentalistischen Strömungen, die Militarisierung der Polizei und die Kriminalisierung von Protesten und Widerstand.
«Wir sind auf die Strasse gegangen, um uns solidarisch mit dem Kampf der ecuadorianischen Frauen zu zeigen, wir protestierten vor dem argentinischen Konsulat, um den Kampf der Transandinen für die Entkriminalisierung der Abtreibung zu unterstützen, wir unterstützen auch den Widerstand der Kurdinnen und sind involviert in den Kampf von Migrantinnen gegen die rassistische Migrationspolitik der Regierung», so Salaza.
Kontextualisierung statt Aneignung
Uns ist es wichtig zu betonen, woher die Bewegung kommt, wer sie ins Leben gerufen hat und auf was wir uns genau beziehen.
Während sich Feministinnen in Lateinamerika unter anderem für den Befreiungskampf der Kurdinnen in Rojava starkmachen, solidarisieren sich immer mehr Frauen in Europa mit dem lateinamerikanischen Kampf gegen Femizide, also Frauenmorde. In zahlreichen europäischen Städten führen Frauen und FLINT Gruppierungen die chilenische Performance «El vialodor eres tu» (Der Täter bist du) gegen Femizide und Gewalt an Frauen auf und schaffen so einen performativen Überbau für die Bewegung.
Auch in Zürich hat sich im Rahmen des Frauenstreiks von 2019 ein Kollektiv mit dem Namen «Ni una menos» zu Deutsch «Nicht eine weniger» gegründet, das sich gegen Femizide engagiert. «Die Idee von Ni Una menos ist es, den Widerstand gegen Femizide und den strukturellen Kontext internationalistisch sichtbar zu machen. Schliesslich endet das Problem an keiner Grenze, weder an einer Nation noch einer Schicht», erzählt ein Mitglied der Gruppe, welches nicht namentlich genannt werden möchte. Immer wieder würden die Mitglieder zu hören bekommen, dass es so etwas wie Frauenmorde in der Schweiz doch eh nicht gäbe. «Und wenn, dann sind es rassistische Argumentationslinien, wie jene von der importierten Gewalt, denen es vehement zu widersprechen gilt.»
Das Zürcher Kollektiv Ni una menos pflegt regen Kontakt zu einzelnen Kollektiven in Lateinamerika und Europa. «Uns ist es immer wieder wichtig zu betonen, woher die Bewegung kommt, wer sie ins Leben gerufen hat und auf was wir uns genau beziehen», erzählt das Mitglied. Dasselbe gilt für die feministische Performance, welche Ende April auch auf der Zürcher Rathausbrücke, als Antwort auf die Polizeigewalt vom diesjährigen 8. März aufgeführt wurde: «Gerade als weisse Feministinnen ist es wichtig, solche Elemente vorsichtig an den lokalen geografischen und historischen Kontext anzupassen, ohne sie sich jedoch unreflektiert zu eigen zu machen.»
Es war wiederum Audre Lord, die geschrieben hat: «With-out community, there is no liberation.»
Feministinnen und Frauenkämpferinnen rund um den Globus haben diese Worte verinnerlicht. Durch grenzübergreifende Vernetzung, Solidarität und den reflektierten Bezug aufeinander soll die grundlegende Freiheit aller Frauen erkämpft werden, auch derer, die ganz andere Fesseln tragen, als wir uns innerhalb der eigenen Grenzen vielleicht vorstellen können.