Die Firma Mirriad will mit ihrer Software Youtube-Werbung dort platzieren, wo sie nicht stört. Die britische Firma ermöglicht ihren Werbekunden, mittels einem ausgefeilten Software-Rendering in bereits bestehenden Filmen rückwirkend Produkte einzufügen. Ein weiterer Schritt Richtung Personalisierung und Horizontverengung.

Schöne, neue, ganz persönliche Werbewelt: «Unsere Werbung ist nicht aufdringlich, sondern ermunternd», sagte Ted Mico, COO des weltweit führenden Anbieters von Youtube-Werbung, letztes Jahr gegenüber dem Schreibenden. Im untenstehenden Interview (erstmals erschienen auf persoenlich.com) pries er die neue Werbeform, das sogenannte «Native In-Video Advertising» als besonders authentisch und praktisch an. Eine Traumform für alle Beteiligten – sowohl für Konsumenten wie auch für die Hersteller von Inhalten und die Marken. Erstere erhalten speziell auf ihre Interessen und Bedürfnisse abgestimmte Werbeinhalte, Zweitere was zu tun und was zu beissen und Drittere mehr Aufmerksamkeit und Glaubwürdigkeit. Aber lassen wir Mico erst selbst zu Wort kommen:

Herr Mico, erklären Sie uns doch mal: Was bedeutet «Native In-Video Advertising» und wer kann davon profitieren?
Native In-Video Advertising ist in Inhalt eingebettete Werbung. Sie hat all die Vorteile von Markenintegration (sie wirkt also authentisch), gleichzeitig aber auch all die Vorteile von Werbung an sich. Solche Werbeeinheiten können über verschiedene Titel und Outlets verteilt werden, nachdem der Content erstellt wurde. Ein grosser Vorteil in der Media-Planung. Mit der Standardisierung dieser Werbeeinheiten machen wir den Markt flüssiger und agiler. Statt viele, oft zufällige, einzelne Deals zur Integration der Marke abzuschliessen, kann man mit Native In-Video Advertising messbare Werbung machen, die so einfach zu kaufen ist wie die herkömmliche Werbung, die um den Inhalt herum platziert wird.

Das klingt nach einem grossen Strauss von Vorteilen.
Und zwar für alle Seiten: die Hersteller von Inhalten, die Marken und die Konsumenten. Die Hersteller von Inhalten können Mehreinnahmen generieren für Inhalte, die sie sowieso schon produzieren. Marken können ihr Produkt in inhaltlichem Umfeld präsentieren. Direkt dort, wo die gesamte Aufmerksamkeit des Konsumenten liegt. Und ausserdem sollten die zusätzlichen Einnahmen dafür sorgen, dass die Hersteller von Inhalten jene Bewegtbilder produzieren, die wir als Konsumenten sehen wollen. Native In-Video Ads sind deshalb nicht aufdringlich, sondern ermunternd.

Was macht Mirriad genau?
Mirriad ist ein Unternehmen für Videotechnologie. Wir sind weltweite Marktführer für Native In-Video Advertising. Unsere Technologie integriert Produkte, Leitsysteme und Videos in professionell produzierten Content. Mirriad arbeitet mit den Rechteinhabern für Inhalte, mit Vertriebspartnern und Marken zusammen.

Sie sorgen also dafür, dass Werbung im richtigen Youtube-Kontext erscheint. Dass ich also nicht einen HipHop-Videoclip schauen will und dabei mit Werbung für Babyöl penetriert werde.
Genau. Native In-Video Advertising funktioniert nur im Zusammenhang mit dem richtigen Kontext. Die Marke muss wirken, als ob sie da hingehört. Um die Abstimmung vorzunehmen, haben wir eigene Technologien entwickelt. Aber natürlich sind bei uns auch noch ein paar Experten am Werken, die darauf achten, dass bei der Einbindung alles glatt geht.

Kann mit Ihrer Hilfe jeder aktive Youtube-User Geld verdienen?
Derzeit beschäftigen wir uns nur mit professionell produziertem Content – hauptsächlich von Fernsehstudios.

Lange Werbespots auf Youtube können einem als User gewaltig auf die Nerven gehen. Man verliert den Faden, das Interesse und manchmal auch die Fassung. Was ist der Trick? Wie kann man Werbung schlau integrieren?
Ich glaube nicht, dass ich deswegen je meine Fassung verloren habe. Das Interesse an den Spots habe ich aber mit Sicherheit schon öfters verloren. Wir nennen uns « Werbung für die Skip-Generation». Ob wir im Schnellvorlauf einen digital aufgenommenen Film vorspulen, ein weiteres Fenster in unserem Browser öffnen: wir alle – ob jung oder alt – überspringen Werbung. Und klar: Unterbrecherwerbung ist bei den Konsumenten weniger beliebt als jene, die den Content nicht unterbricht. Es gibt aber keinen Trick. Es ist eine Wissenschaft: Die Technologie ist fähig riesige Content Datenbanken zu durchforsten und Orte zu finden, an denen man Native In-Video Ads platzieren kann.

Was sagt die Forschung: Wie viele Sekunden Werbung erträgt der Konsument im Durchschnitt?
Wenn der Kontext stimmt, gibt es keine Grenze der Erträglichkeit. Denn dann sieht es so aus,  als ob die Werbung schon immer dagewesen wäre. Sie ist dann Teil des Inhalts. Ausserdem kommen ja in den meisten meiner Lieblingssendungen Marken vor – nur ohne dass jemand dafür Geld sieht.

Wie sieht das Geschäftsmodell aus?
Wir kriegen einen Teil des Erlöses der Werbegelder. Wir denken, dass Native In-Video Advertising in den nächsten Jahren zum Standard wird, genauso wie die anderen Werbeformen. Dank unserer Software, die in über vier Jahre langer Arbeit programmiert wurde, ist diese Form von Werbung sehr gut messbar.

Wie viele der grossen Werbetreibenden sind schon mit an Bord?
Wir haben bereits mit über 150 der 200 wichtigsten Marken zusammengearbeitet. Und täglich kommen mehr dazu.

So weit also Ted Mico von Mirriad, einem 2008 gegründeten Unternehmen, das sich auf die Fahne geschrieben hat, Werbung zu revolutionieren – in Zeiten der kaum mehr als ein paar Sekunden zu fesselnden Skip-Generation. Zu diesem Zweck hat das Unternehmen einen Algorithmus entwickelt, der die Werbung platziert. Eben möglichst so, dass der Konsument sie nicht als Störfaktor wahrnimmt, sondern als zusätzlichen sinnhaften Content. Als hilfreiche Produktinformation und im besten Fall als Kaufstimulation. Dafür, dass die Werbespots auch unserem Gusto entsprechen, sorgt der Suchmaschinen-Gigant Google, der sich mit seiner Neustrukturierung zum Über-Unternehmen «Alphabet» endlich in seiner wahren Grösse erkennen lässt. Ob mit oder ohne Youtube-Profil, Google kennt und liebt uns fast alle; als eingeloggte Youtube-User mit Profil, als Gmail oder Chrome-Nutzer.

 

Aber wie sieht die Realität aus? Funktioniert das? Werden wir so mit spannendem Zusatzstoff versorgt? Und was macht das mit uns, wenn wir überall in der digitalisierten Welt noch mit personalisierten Inhalten konfrontiert werden? Verkommt das Internet damit zum Fenster zum Hof statt zum Fenster zur Welt?

Erstmal ist festzuhalten, dass in den letzten Monaten immer wieder Untersuchungen aufgetaucht sind, die besagten, dass einem sehr hohen Prozentsatz der Bewegtbildwerbung im Internet keinerlei Beachtung beigemessen wird. So war auf dem US-amerikanischen Werbeportal Adage im Mai dieses Jahres zu lesen, dass laut Google grundsätzlich rund 46 Prozent der Video Ads nie angeschaut werden. Mico würde wohl sagen: «Die arbeiten nicht mit uns zusammen.» Anbieter wie Mirriad zwingen den Konsumenten zumindest ein paar Sekunden zu schauen, ehe er die Werbung wegklicken kann. Oder eben nicht.

 

Wenn man, wie der Autor, in seinem Umfeld eine kleine Umfrage startet, erhält man meist die gleichen Antworten: Ja, wenn die Werbespots ansprechend seien, dann würden sie nicht als störend empfunden. Es gebe ja unglaublich tolle Werbespots – so zum Beispiel etwa jene teuren Produktfilme für VW, Old Spice oder Snickers, die jährlich für die Werbeunterbrechungen des Super Bowls produziert werden. Spots, die auf Youtube gar direkt gesucht, geliked, kommentiert und geshared und als Bereicherung empfunden werden. Nur dass man jetzt beim gezielten Suchen eines Inhaltes auf Youtube von einer Werbeeinblendung positiv überrascht und inhaltlich stimuliert worden sei, daran kann sich auf Nachfrage niemand erinnern. Trotz aller Personalisierung und toller Algorithmen. Wahrscheinlich wird einfach zu wenig gute Werbung produziert. Oder sie war so gut platziert, dass wir sie gar nicht bemerkt haben.


Wie dem auch sei: Was Unternehmen wie Mirriad anbieten, kann den Produzenten von jenen 46 Prozent der Bewegtbildwerbung, die nie angeschaut werden, sicher ein Stück weit helfen.
Was das allerdings mit uns macht, wenn immer nur Erwartbares und auf uns Abgestimmtes auf uns einprasselt, ist im Falle von Youtube schwer zu sagen. Vielleicht lässt es sich auch gar nicht mehr auseinanderdividieren: Die persönliche Internetblase weitet sich immer mehr aus.

 

Wer sich mal ein paar Tage nur über den Newsfeed von Facebook informiert, kennt das Phänomen: Plötzlich hat das Weltgeschehen ein ganz anderes Gesicht als in den Abendnachrichten im Fernsehen. Man findet Bestätigung, man findet Inhalte, die einen interessieren. Man definiert sich über die Gesetzmässigkeiten des Portals und seine Bekanntschaften selber den Tellerrand, über den man nicht mehr hinwegschauen kann.
Genauso auf Youtube: Angepasste Werbung, angepasste Empfehlungen. Wer nicht aufpasst, bewegt sich in selbst vorgespurten Loipen und dreht Runden im eigenen Hinterhof. Die Regeln, die dann gelten, sind die des Marketings. Und Vorgänge, die die Fachwelt mit Begriffen wie Systematisierung von Erfolgsrezepten, Abstimmung auf den Konsumenten, Verlust von Individualität und Selbstbestimmung bezeichnet. Das Fenster wird enger, die Welt kleiner. Und das in einer Welt, die, ausser dem Funkloch, eigentlich keine Grenzen kennt.

Adrian Schräder ist freier Journalist und arbeitet regelmässig für die NZZ, Das Magazin oder das Bieler Tagblatt.

Comment is free

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert