Konfrontiert mit den Vorwürfen zu Geldwäsche, Steuervermeidung und Verschleierung, die der Anwaltskanzlei Appleby aufgrund der «Paradise Papers» gemacht wurden, reagierte diese mit folgendem Statement: «We are satisfied that there is no evidence of any wrongdoing, either on the part of ourselves or our clients.»
Es handelt sich um eine Beteuerung, wie wir sie von anderen Enthüllungen zu Steuervermeidung, aber auch zu unmenschlichen Arbeitsbedingungen, Umweltschäden und Korruption immer wieder zu hören bekommen: Dass geltende Gesetze eingehalten worden sind. Was eigentlich nur heisst, dass das angebliche Vergehen – in diesem Fall der Steuerbetrug – aufgrund von fehlenden eindeutigen Beweisen oder aufgrund der Nutzung von legalen Schlupflöchern schwer nachzuweisen ist. Derartige Rechtfertigungen deuten darauf hin, dass sich bestimmte Firmen offenbar nur dem Buchstaben des Gesetzes, aber kaum dessen Idee verpflichtet sehen. Und dass diese für eine positive Geschäftsentwicklung auch moralisch verwerfliches Verhalten in Betracht ziehen, sofern es nicht explizit verboten ist.
Insofern erstaunt es wenig, dass viele Firmen grosse Anstrengungen unternehmen, um die Höhe ihrer Boni sowie Aktivitäten zur «Steueroptimierung» legal zu ermöglichen oder ihren ökologischen Fussabdruck etwas grüner zu färben. Dazu überzeugt man entweder den Gesetzgeber von einer nötigen Gesetzesänderung oder man schafft es, die öffentliche Wahrnehmung so zu beinflussen, dass die Verantwortung nicht mehr bei den Konzernen, sondern bei uns allen liegt. Oder man macht beides: So geschehen, als BP 2010 nach «Deepwater Horizon» mit der Erlaubnis der US-Regierung Dispersionsmittel in den Golf von Mexiko schütteten, um die Ölkatastrophe unsichtbar zu machen. Oder mit der freiwilligen Einführung einer Gebühr von fünf Rappen für Plastiksäcke – während sich in der Gemüseabeilung der hiesigen Grossverteiler kein einziger Salat mehr finden lässt, der nicht in Plastikfolie verpackt ist.
We are satisfied that there is no evidence of any wrongdoing, either on the part of ourselves or our clients.
Auf Einzelpersonen ist auch besser Fingerzeigen: Die öffentliche Empörung und Schadenfreude war immens, als bekannt wurde, dass selbst der irische Sänger und Gutmensch Bono Steuern «optimiert» – obschon der sich seit Jahren im Kampf gegen die Armut einsetzt! Peinlich, aber keine böse Absicht? So wie die Mehrheit der Rauchenden ihr persönliches Erkrankungsrisiko zu tief einschätzt, fällt es tatsächlich vielen Menschen in komplexen Situationen schwer, ihr Verhalten richtig einzuschätzen und anzupassen. Um solchen Problemen zu begegnen, wurden gesetzliche Rahmenbedingungen geschaffen, die über Steuern für z.B. Alkohol, Tabak und Glückspiel über den Staat sicherstellen, dass verantwortungsvolles Handeln nicht einfach der Eigenverantwortung überlassen wird. Das Fehlen solcher Regulierungen wird neben Firmen bekannterweise auch von vielen Politikern begrüsst. So wie der republikanische Senator Buddy Carter es in der kürzlich erfolgten Befragung von Mark Zuckerberg zum Datenleck bei Facebook formuliert hatte, als er gegen Regulierung und für Eigenverantwortung plädierte: «Look, you love America, I know that, we all know that. We need your help here. We don’t – I don’t want Congress to have to act. You – you want to see a mess, you let the federal government get into this.»
In Europa sind wir hierzu mit der kürzlich in Kraft getretenen Datenschutzverordnung schon einen kleinen Schritt weiter. Im Zusammenhang mit Steuerflucht ist klar, dass sich die Schere zwischen den reichsten 10% und dem Rest der Bevölkerungen nicht noch weiter öffnen sollte, wenn ein gesellschaftlicher Friede bestehen bleiben soll. Ebenso klar, dass die Erderwärmung trotz ein paar hübschen Palmen am Zürichsee zu weitreichenden geopolitischen Konflikten und verherenden Umweltereignissen führen wird.
Für die vorliegende Ausgabe gehen unsere Autorinnen und Autoren der Frage nach, wie wir gesellschaftlich mit der Diskrepanz zwischen Gesetz, Ideal und Moral umgehen können und sollen.