Beim Bau der neuen Seidenstrasse trifft China auf die Brennpunkte Pakistan und Kaschmir-Konflikt. Mit Ausdauer, Geduld und öffentlicher Zurückhaltung liefert Peking seit knapp zehn Jahren ein Meisterstück in Sachen Geopolitik ab.

Pakistan wuchs seit 1947 von 30 Millionen auf über 200 Millionen Einwohner heran, und die Kurve steigt. In den 60ern noch agrarwirtschaftliches Vorzeigemodell, wandelte es sich zu dem Land, das die drittgrößten Wasserprobleme der Erde hat – trotz Schmelzwasser aus dem Himalaya und Karakorum. Was läuft da schief?

Dieses Jahr sagte der gefasste Schwerverbrecher Uzair Jan Baloch aus, dass er mit allen wichtigen Personen des Landes zusammengearbeitet hat, u.a. mit dem Ex-Präsidenten Asif Ali Zardari, dem zweitreichsten Pakistaner.

Der aktuelle Ministerpräsident Nawaz Sharif (zusammen mit seinem Bruder viertreichster Pakistaner) stand diesen Monat wegen der Panama Papers vor dem obersten Gerichtshof. Das Urteil: Eine Kommission soll den Fall nochmal untersuchen. Das heisst schlicht, die Angelegenheit verläuft im Sande und darf nur von der pakistanischen Armee ausgegraben werden, sollte sich Sharif einmal einbilden, er wolle Pakistan wirklich regieren. Nichts ist für pakistanische Generäle angenehmer, als dass die «demokratische» Konkurrenz bis zum Hals in zwielichtigen Machenschaften steckt.
Die Armee mit ihren 1.5 Millionen Angehörigen ist das größte Wirtschaftsunternehmen des Landes und der größte Grundstücksbesitzer. Der Nachwuchs an Extremisten ist dank des mangelhaften staatlichen Schulsystems und Zehntausenden privat geführter Religionsschulen gesichert. Überdies hält die Armee den Kaschmir-Konflikt mit Indien am Gären – ohne Konflikte und Extremisten bräuchte es keine riesige Armee.
Seit das Land nun auch noch die Atombombe besitzt, waren sich die Verantwortlichen sicher, dass die Weltgemeinschaft den mies geführten Laden Pakistan mit immer neuen Krediten am Laufen halten und so den pompösen Lebensstandard der Verantwortlichen sichern würde – die einfache Bevölkerung hat ja Gott, der sich um sie kümmert.

Mittlerweile ist den USA aber klar geworden, dass ihr Partner im «Kampf gegen den Terror», ein Teil des Problems ist, weil Pakistans Armee nicht aufhören kann, an den «guten» Taliban in Afghanistan festzuhalten. Dazu haben die USA andere Orte gefunden, um ihre Drohnen zu testen. Seither setzen die pakistanischen Verantwortlichen nun ganz auf China – im Glauben, dass China um jeden Preis die neue Seidenstrasse durch Pakistan bauen will. Dabei scheint der pakistanischen Seite entgangen zu sein, dass China gleich an mehreren Seidenstrassen bastelt.
Zunächst fing alles vielversprechend an: Der Ausbau des Karakorum-Highways sollte von beiden Ländern zur gleichen Teilen bezahlt werden. Doch regelmäßig sagte der damalige pakistanische Ministerpräsident Zardari: «Sorry, unser Budget für dieses Jahr ist alle. Wir zahlen dann mal tomorrow.»

Auch Sharif setzte mit seinem Amtsantritt 2013 weiter auf Peking. Bis jetzt macht seine Regierung der Bevölkerung weis, dass es sich bei der Kooperation mit China einzig um eine 1500 Kilometer lange Straße handelt, die vom Khunjarab-Pass im Norden zum südlich gelegenen Gwadar führt, wo die Chinesen schon mit Milliarden von Dollars einen Überseehafen gebaut haben. Zudem hieß es, dass Peking 60 Milliarden Dollar investieren werde und entlang der Straße dereinst Milch und Honig fließen würden. Doch nach allen Informationen, die durchgesickert und von tapferen pakistanischen Journalisten veröffentlicht worden sind (mit 120 getöteten Kollegen seit 1990 ist Pakistan für Journalisten das viertgefährlichste Land der Erde), sieht die «gleichberechtigte» Pak-China-Kooperation folgendermaßen aus: Eckpfeiler wie die Agrarwirtschaft werden praktisch in die Hände von chinesischen Firmen gegeben. Große Flächen Land werden an sie verpachtet, um dort «moderne» Formen der Landwirtschaft zu testen und Lebensmittel für den «Export» herzustellen. Dazu kommen riesige Produktionsstätten von Fleisch und Milch. Auch Kunstdünger, «überlegenes» Saatgut und Traktoren werden unter chinesischer Kontrolle hergestellt. Zu diesem Zweck werden Sonderwirtschaftszonen eingerichtet, kleine Staaten im Staate – mit Steuervorteilen und Sonderrechten. Diese Zonen will China mit eigenen Sicherheitsvorkehrungen gegen Sabotage und Terrorismus schützen. – Diesen Monat sind in Quetta zwei entführte chinesische Staatsbürger von ihren Kidnappern ermordet worden. – Für all die chinesischen Wirtschaftsinseln werden aber auch neue Straßen und weitere Infrastruktur benötigt. Um diese zu realisieren, muss die pakistanische Seite einen großen Teil der von China zugesagten 60-Milliarden-Kredite verwenden. Davon profitieren wird in erster Linie die chinesische Wirtschaft.

Besonderen Druck macht China auch bei der Verlegung von Glasfaserkabeln. Dabei liegt der kommunistischen Volksrepublik weniger das Wohl der Pakistaner am Herzen, sondern ihr eigenes. Bislang verlaufen Chinas Glasfaserkabel für den Internetverkehr mit Afrika über Europa, in Zukunft könnten sie durch Pakistan führen.
An der Küste zum arabischen Meer sollen große Tourismus- und Amüsierorte aus dem Boden gestampft werden. Vermutlich in der Art, dass eine «islamisch» geprägte Mittelklasse einer «kommunistisch» geprägten entgegenkommen kann. Dort wird es vermutlich nicht nur billigen chinesischen Fusel in Plastikflaschen geben – wie seit Jahren überall dort in Pakistan, wo Chinesische Arbeiter auftauchen.

Die zahlreichen Bodenschätze, die wegen Unfähigkeit der pakistanischen Verantwortlichen noch teils mit mittelalterlichen Methoden zutage gefördert werden, übernehmen in Zukunft natürlich ebenfalls chinesische Firmen. Schon heute führen die Chinesen Regie beim Abbau der riesigen pakistanischen Kohlevorkommen in der südlichen Region Sindh – mit tausenden chinesischen Arbeitern. Die Kraftwerke die daraus Strom produziert sollen, werden ebenfalls von chinesische Firmen errichtet. Diesen sind von den pakistanischen Vertragspartnern «gute» Preise zugesagt worden, sodass die Stromrechnung für den pakistanischen Verbraucher künftig bis zu viermal höher ausfallen wird als beispielsweise im Nachbarland Indien. Längst haben die chinesischen Investoren sich Verträge für die anderen Bodenschätze gesichert – auch in der umstrittenen Region Gilgit-Baltistan. Diese ist ein Teil des Kaschmir Konfliktes und wird auch von Indien beansprucht.
Nicht wenige Kritiker sprechen beim grossen Einkaufsbummel des Riesen China von einer zweiten Ost-Indien-Company. Wirtschaftsinteressen haben oberste Priorität und sind der Motor dieses Einheitssystems. Einerlei, ob auf der Verpackung nun «islamische Republik» oder «kommunistische Volksrepublik» steht. China hat es in kurzer Zeit geschafft, 600 Millionen Menschen seiner Bevölkerung aus der materiellen Armut zu holen. Als guter Geschäftsmann, der ausreichend Kapital besitzt und langfristig plant, legt China wiederum nicht alle Eier in einen Korb. Pakistan kann nur hoffen, von der Geschäftstüchtigkeit des großen Nachbarn profitieren zu können. Der überwiegend gutmütigen Bevölkerung Pakistans sei zu gönnen, dass die abfallenden Brotkrümel etwas größer werden. Die reiche Elite braucht keine Angst zu haben, dass es ihr an den Kragen geht. Solange sie sich nicht querstellt, darf sie weiter im Luxus schwelgen, das nehmen die Chinesen ihren Reichen daheim auch nicht übel – zudem fördert das den Konsum. Dieser ist auch das einzig Verbindende zwischen den einfachen Menschen beider Länder. Entlang der Baustellen des Karakorum Highways arbeiten chinesische Arbeiter mit verkaterten Gesichtsausdruck, den dauernd eine qualmende Kippe schmückt, wie die «Wahnsinnigen», daneben stehen relaxte Polizisten, die ihre Gäste bewachen sollen und entspannte pakistanische Arbeiter, die ihre wie wild schaufelnden chinesischen «Brüder» anschauen, als seien es Wesen von einem anderen Stern. Im Norden in Hunza-Gojal hat sich die lokale Bevölkerung sogar geweigert unter den rüpelhaften «Wahnsinnigen» zu arbeiten. Besser ist das Verhältnis der Menschen der «Brüderstaaten» auf der Ebene der Händler, als gebe es im 21. Jahrhundert nichts, das mehr zusammenschweisse, als die Aussicht auf einen guten Profit. So eröffnen in allen pakistanischen Großstädten massenweise chinesische Sprachschulen.

Der Berliner Gilbert Kolonko ist seit 17 Jahren regelmässig in Indien, Nepal, Bangladesch und Pakistan unterwegs und hat Bücher über den Bürgerkrieg in Nepal und über Pakistan geschrieben. Dazu schreibt er regelmässig für das Neue Deutschland, Telepolis und den pakistanischen The Dawn.

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