Wenn wir Computer und Smartphones benutzen, wählen wir über Programme aus einem Setting von Kommandos, die zu bestimmten Situationen passen. Diese Befehle lassen wir uns nicht selbst einfallen, wir wählen sie aus vorgegebenen Menüs oder Befehlslisten, die bestimmten Moden folgen. Wir benutzen diese Kommandos wie Klamotten oder Accessoires, um uns virtuell auszudrücken und darzustellen.
Mit unseren Befehlen kontrollieren wir den alltäglichen physischen Raum des Internets (engl. meatspace). Dieser physische Raum besteht aus Kraftwerken, Kabeln, die die Welt mehrfach umspannen, Schaltkästen, flächendeckend installierte Antennen, Satelliten, die unsere Erde umrunden, Rechenzentren, Fernmeldeämter und Millionen von leuchtenden Monitoren, hinter denen die Hardware meist in Blackboxes versteckt bleibt.Aus der Gesamtheit der verfügbaren Kommandos ergibt sich unser soziales Handlungsfeld. Es sind alle möglichen Befehle, die wir drauf haben in den verfügbaren Codes, Sprachen und grafischen Interfaces. Im Hintergrund sorgen Standards und Protokolle dafür, dass unsere Befehle auch an der richtigen Adresse ankommen. Würde ein Gegenüber ein Kommando nicht verstehen, wäre es zwecklos. Wie im Militär, wo Rekruten geschult werden stramm zu stehen und auf Befehle ordnungsgemäss zu reagieren, mindestens so erwarten wir es von unseren Maschinen.
Der Kommunikationstheoretiker McLuhan beschreibt die Glühlampe als Medium ohne Inhalt. Er konstatiert, dass «eine Glühlampe allein durch ihre Anwesenheit eine Umgebung schafft», und nimmt an, dass der Inhalt eines Mediums nur einen geringen Einfluss auf die Gesellschaft habe, dass die Auswirkung auf die Gesellschaft nahezu gleich wäre, wenn ein Fernsehsender Kinderprogramme oder gewalthaltige Sendungen ausstrahlen würde. Er stellte fest, dass alle Medien den Konsumenten in einer charakteristischen Weise in Anspruch nehmen. Eine Volksweise sagt: «Lasst uns näher ans Feuer gehen, damit wir uns besser verstehen können.» Dieser Raum des Rauchs umhüllt uns auch, wenn Raucher einen Kommunikationsraum auf der Feuertreppe bilden, der die Raucher umhüllt. Für Nichtraucher ist es schwierig, in diesen Kommunikationsraum einzutauchen, sie beginnen ja zu husten.
Ein medialer Raum mit seinen Optionsmöglichkeiten nimmt uns in Anspruch und fordert unsere Aufmerksamkeit. So fühlen wir uns bestimmten Medien zugehörig (FB, Twitter, WordPress, usw.). Diese Medien haben enormen Zulauf und bekommen unglaubliche Werte zugesprochen (Twitter: 1,8 Mrd. $). Allein die Tatsache dabei zu sein macht uns zu jemandem bei Facebook, zu einem Twitterer, Innovator oder ganz allgemein zum Social Media-Experten. Es reicht aus, ein Iphone zu haben, um im Kreis der Iphone BenutzerInnen als Mitglied anerkannt zu werden (Apple ID vorausgesetzt), und lautet die Antwort auf die Frage, warum man kein iPad besitze, «Weil ich es nicht brauche», kann diese nur mit einem verständnislosen Kopfschütteln beantwortet werden. Empfehlenswert ist jeweils: «Sorry, überspringe die aktuelle Version.»
Indem der Befehlshaber Anweisungen gibt, bekennt er/sie sich zu einem bestimmten Medium. Die Befehle definieren das persönliche Medienreich (usergenerated media) jedes Individuums, das im Zeitalter von Web 2.0 zusammengeklickt wird. Hier geht es uns wie den grossen Medientycoonen. Die Inhalte bleiben erstmal unerheblich. Es soll sich dort alles versammeln was Namen hat, und wir begehren nach der totalen Medienherrschaft, indem wir immer mehr Maschinen zusammenschliessen (Clouds bilden). Das Medium zeichnet sich aus durch seinen unstillbaren Hunger nach neuen Befehlen und Maschinen. Befehlsgewalt kann dabei auch an Maschinen weitergegegeben werden. Automatische Abbuchungsaufträge oder RSS Feeds brauchen uns nur mehr als Kontrollorgan. Immer mehr und komplexere Befehle und Befehlsformen kommen hinzu, oft machen diese gar nichts oder sehen einfach nur besser aus. So definieren wir heute unsere Medien durch die verfügbaren Befehle ständig neu und damit auch uns selbst.
Im Mittelalter stand auf österreichischen Burgen das Verb «roboten» für die Arbeit, die für einen Lehnsherren verrichtet werden musste. Die Aufgaben waren klar definiert: Fische fangen, Waldarbeiten, Getreide ernten und abliefern, usw. In den 50ern wurde das Wort für landwirtschaftliche Versicherungsmodelle, die die Nachbarschaftshilfe förderten, verwendet. Wenn der Stall eines Mitglieds abbrannte, waren die anderen aufgefordert, diesem beim Wiederaufbau zu helfen. Man ging «roboten» (vgl. russisch: robota = Arbeit). Später wird diese unbeliebte Arbeit dem ethymologisch verwandten Roboter und ähnlichen Maschinen übertragen. In den Märchen des Mittelalters reichte noch die blosse Vorstellung von «Tischlein deck dich», «Knüppel aus dem Sack» oder «Sesam öffne dich». Goethes Zauberlehrling vergisst seine Befehle und wird, «die Geister», die er rief «nicht los.» In Chaplins ‹Modern Times› wird die ganze Absurdität der Maschinenproduktion offenbar: Die riesigen Maschinen produzieren nichts – zumindest nichts Erkennbares. Die ArbeiterInnen sind vom Produkt abgekoppelt und haben ausschließlich als eine nach Zeit, Lohn und Arbeitskraft kalkulierte Größe zu funktionieren.
Das Beziehungsgeflecht Maschine–Mensch ist geprägt durch die Vereinnahmung des Menschen durch das Medium Maschine und den Leistungsauftrag an den Menschen, diese zu befehligen. Hat sich der Mensch einmal von allen Verpflichtungen der Maschine befreit, kann diese neu gewonnene Freiheit für neue selbstbestimmte Aufgaben eingesetzt werden. Nicht jeder kann Künstler, Blogger oder Journalist werden. Es muss Menschen geben, die morgens aufstehen, zur Arbeit fahren und Steuern bezahlen. Warum finden so viele Menschen nach guten, aber brotlosen Ausbildungen die Vorstellung von diesem geregelten Leben so grausig? Vielleicht hat sich die Denkweise verändert: Statt Geld ist der Wunsch nach Freizeit wichtiger geworden. Was früher ein paar versprengten Existenzialisten vorbehalten war, will nun eine ganze Generation für sich beanspruchen. Jeder hat den Anspruch, sich abzuheben, sich auszuzeichnen, über Sachen zu verfügen und Ansehen zu geniessen.
Befehle in Form von Text, Sprache, Bewegungen, Gesten und Posen verorten uns in unserem eigenenmedialen Reich. Wer eigene Sprachen oder Bewegungen erfindet oder zumindest kurzfristig zu seinem Status erhebt, hat die Chance sich im sozialen Netz zu verewigen (Beispiel: Jens Sundheim: Der Reisende). Diese Menschen machen nichts, als ihre eigenen Befehle zu erfinden und weiterzugeben. Um im Raum der sozialen Medien sichtbar zu werden, tut man gut daran seinen eigenen Körper auf -und auszuführen. Mit der Allgegenwart von Abbildungsgeräten können wir 24 Bilder in der Sekunde erzeugen. Andy Warhol gab in den 60ern jedem noch 15 Minuten für den persönlichen Erfolg. Um heute längerfristigig Microcelebrity zu werden braucht es lediglich einen Blog, eine Facebookseite, einen Twitter Account und 1000 Follower. Die meisten davon kennst du nicht. Sascha Lobo definiert Erfolg über die Anzahl der Twitter-Follower. Auf Klout.com kann der geneigte Oberbefehlshaber sein eigenes Social media Ranking pflegen. Allerdings kann der Erfolg auch über Nacht und unerwartet eintreffen, wie das Beispiel der 16-jährigen Thessa aus Hamburg zeigt, zu deren Geburtstagsparty plötzlich Tausende von Menschen erschienen. Ein unbedacht ausgeführter Befehl konnte nicht mehr rückgängig gemacht werden. Die Massen sind schon in Bewegung.
2. Cmd + Shift + 4 (Screenshot, Apple)
3. Copy/Paste
4. Cat > (Text schreiben in Unix)
5. Alt + Cmd + Shift + Esc (ein Programm unter MacOSX abschiessen) oder Kill (Unixbefehl mit demselben Effekt) oder Alt + F4 (Windows)
6. Cmd + Alt + Delete (Affengriff)
7. Gefällt mir (Facebook)
8. Goto
9. Ping (Unix, prüft ob eine Webseite gerade erreichbar ist)
10. 1-Click (Amazon)
11. Reboot/Reset
12. HCF (Halt and Catch Fire, CPU Befehl)
13. Ignorieren
14. Pause
15. Undo/Wiederherstellen
16. Escape
Vgl. Befehlsliste der römischen Legion: www.legioxiiiigemina.de/50